Reiseberichte

Die illustrierten Berichte über unsere Ausflüge und Reisen dienen als Erinnerungsstütze für Mitreisende und für uns selbst sowie als Inspiration für alle, die gerne reisen und sich dabei etwas überlegen.

Wir stellen uns jeweils die Frage, was an einem besuchten Ort charakteristisch ist, und beleuchten gerne die weniger bekannten Zusammenhänge. Einen Anspruch auf Vollständigkeit haben wir nicht. Die Berichte ersetzen also nicht die handelsüblichen Reiseführer.

Wenn Sie sich für ein Reiseziel besonders interessieren, dann sehen Sie sich auch die Ankündigung der betreffenden Reise an in der Rubrik Verpasste Gelegenheiten.

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Wien, Ljubljana, Triest, 15. – 26. Oktober 2024

Wir haben auf dieser Reise die Städte Wien, Ljubljana und Triest besucht. Wien, früher die Hauptstadt eines Imperiums, dann Laibach, Hauptstadt des ehemaligen Kronlands Krain und heute mit dem Namen Ljubljana Hauptstadt Sloweniens, und schliesslich Triest, bis 1918 die wichtigste Hafenstadt Österreichs. Die drei Städte sind durch die 1857 eröffnete Südbahn miteinander verbunden. Nach einem langen Unterbruch gibt es seit wenigen Jahren auf dieser historischen Bahnstrecke wieder eine direkte Zugverbindung.

Wie bei unserem Aufenthalt in Rom im Februar 2024 beschäftigen wir uns mit dem Aufstieg, der Blütezeit und dem Niedergang eines Imperiums.

Imperien sind sehr unterschiedlich. Verschieden ist auch der Prozess ihrer Auflösung. Es ist denkbar, dass die Bevölkerung von Rom im Herbst 476 gar nicht wahrnahm, dass die Absetzung von Romulus Augustulus durch Odoaker das definitive Ende des Weströmischen Reichs bedeutete. Im Herbst 1918 hingegen haben vermutlich alle Wienerinnen und Wiener mitbekommen, dass der Krieg verloren war und die seit 1867 bestehende Doppelmonarchie Österreich-Ungarn nicht mehr weiter existierte.

Am 15. Oktober 2024 beginnt unsere Reise mit unserer Kleingruppe von Interessierten im Zug von Sargans nach Wien – wegen Bauarbeiten verkehrt der Zug nicht ab Zürich. Es ist ein schöner Tag, Herbstwälder und Felswände am Arlberg, Tunnels und Brücken, dann Innsbruck, Kufstein, der Chiemsee von weitem, Salzburg, Linz. Zwischen St. Pölten und Wien ist die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke nach den herbstlichen Überschwemmungen noch ausser Betrieb.

Vom Wiener Hauptbahnhof fahren wir eine Haltestelle mit der U-Bahn zu einem Hotel aus imperialer Zeit. Erzherzog Rainer, Sohn des Vizekönigs von Lombardo-Venezien, gestattete einem Hoflieferanten, für den Hotelneubau seinen Namen zu verwenden.

Das Hotel wirkt modern, sogar etwas luxuriös, aber unter den Spannteppichen knarren, so vermuten wir, die alten Holzböden. Das Restaurant im Erdgeschoss bietet wienerische Speisen an, und für den ersten Abend haben wir hier zehn Plätze reserviert.

Am nächsten Morgen befassen wir uns näher mit den Helden auf dem Heldenplatz. Prinz Eugen (1663-1736) und Erzherzog Karl (1771-1847) sitzen auf Pferden, die jeweils startbereit auf ihren Hinterbeinen stehen und damit Mut und vorwärtsstürmende Siegesgewissheit signalisieren.

Prinz Eugen hat gegen die Türken gesiegt, Erzherzog Karl sogar gegen Napoleon, und zwar im Dörfchen Aspern östlich der Donau im Mai 1809, bevor er dann im Juli 1809 bei Wagram eine entscheidende Niederlage erlitt.

Prinz Eugen ist zwar ein österreichischer Held, aber kein Habsburger, sondern ein Spross der Savoyerdynastie. Als reicher Kunstsammler und Bauherr der beiden Belvedere-Schlösser hinterliess er auch eine Bibliothek aus 2,400 Handschriften und 15,000 gedruckten Büchern. Er trug also bei zum kulturellen Reichtum von Wien, der so viele Menschen anzieht.

Erzherzog Karl war der jüngere Bruder von Kaiser Franz II. Mit dem Einverständnis seines Vaters, der später, von 1790 bis 1792, als Kaiser Leopold II herrschte, wurde er von einer kinderlosen Tante adoptiert, die mit Albert Kasimir von Sachsen-Teschen verheiratet war. Von ihm erbte er das Herzogtum Teschen und die Kunstsammlung, die als Albertina bekannt ist. Auch in seinem Fall verknüpft sich also militärisches Heldentum mit abendländischer Kultur.

Keine Statue gibt es auf dem Heldenplatz von dem Österreicher, der als Führer des deutschen Volkes galt und hier im Jahre 1938 den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich verkündete. Wir finden auf dem Platz auch keinen Hinweis auf die damalige Feier, haben aber auch nicht danach gesucht.

Dass die deutschsprachigen Österreicher sich als Deutsche fühlten, ist für mich als Schweizer auf Anhieb nicht leicht nachzuvollziehen. Möglicherweise ist es aber für das Verständnis der Geschichte doch bedeutsam. Die Inschriften auf dem Sockel der Reiterstatue von Erzherzog Karl können vielleicht als Hinweis dienen. Auf der Nordseite steht geschrieben: Dem heldenmüthigen Führer der Heere Österreichs, auf der Südseite: Dem beharrlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre. Im Jahr 1860, als das Denkmal eingeweiht wurde, gab es keinen deutschen Nationalstaat. Durch die Schlacht von Königgrätz 1866, in der Preussen Österreich besiegte, wurde Preussen und nicht Österreich die führende Kraft im sich vereinenden Deutschland. 

Wien als Teil oder gar als Zentrum des Reiches, das war keine Erfindung Hitlers, sondern mehrere Jahrhunderte lang eine Realität. Um diese besser zu verstehen, begeben wir uns in der Schatzkammer in der Hofburg.

Die Hofburg war das Machtzentrum des Imperiums, genauer von zwei bis drei Imperien. Hier regierte bis 1806 der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, das sich seit dem 15. Jahrhundert manchmal auch Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation nannte. Dann löste Kaiser Franz II dieses Reich auf, aus Angst, der militärisch erfolgreiche Napoleon könnte sich zum Kaiser dieses Reichs krönen lassen. Er gründete das neue Kaiserreich Österreich und nannte sich von nun an Kaiser Franz I. In der Geschichte nennt man ihn deswegen den Doppelkaiser.

Schliesslich entstand 1867 mit dem sogenannten Ausgleich das Kaiserreich Österreich-Ungarn. Durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg verlor Österreich die Gebiete, die nicht vorwiegend deutschsprachig waren. Heute ist die Hofburg Sitz des Bundespräsidenten der Republik Österreich. 

Karl der Grosse war der erste westeuropäische Machthaber, der an die Tradition der Caesaren anknüpfte. Er liess sich am Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom vom Papst zum Kaiser krönen und erhob so den Anspruch, das Römische Reich weiterzuführen, in einer modifizierten, christlichen Form.

Als Beginn des Heiligen Römischen Reiches gilt aber das Jahr 961, als Otto I in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Die Reichkrone aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, die in der Schatzkammer der Hofburg aufbewahrt wird, interessiert uns nicht nur wegen dem Gold und den Edelsteinen. Sie galt lange als die Krone Karls des Grossen. Da dieser 1165 heiliggesprochen wurde, wurde die Krone als Reliquie angesehen, deswegen blieb sie wohl erhalten. Auf der achteckigen Krone zeigen drei Emailplatten die biblischen Könige David, Salomon und Ezechias. Auf einer vierten Emailplatte verkündet ein von zwei Engeln flankierter Christus: P[er] ME REGES REGNANT, durch mich herrschen die Könige. Die Inschrift steht für das Gottesgnadentum, an das die Kaiser, ihre Erzieher, der Hof und viele Untertanen bis 1918 glauben.

Mit Otto I in Rom zur Kaiserin gekrönt und gesalbt wurde seine zweite Frau, Adelheid, eine Burgunderin. Geboren wurde sie vermutlich in Orbe, lange lebte sie in Saint-Maurice, und in Payerne begrub sie ihre Mutter, la reine Berthe. Nach heutigen Massstäben wäre sie eine Schweizerin. Aufgrund ihrer Lebensgeschichte, die vom Abt von Cluny niedergeschrieben wurde, wurde sie heiliggesprochen. Wir haben sie in früheren Reisen vorgestellt, zum Beispiel im Sommer 2021. Ihr Beitrag zu Europa als consors regni, Mitregentin des Reiches, und als Regentin für ihre früh verstorbenen Nachkommen ist heute wenig bekannt, aber vermutlich ist er entscheidender als die heutigen Kohäsionszahlungen der Schweiz an die Europäische Union.

Die wertvolle Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches verlieh eine protokollarische Vorrangstellung, aber wenig wirkliche Macht. In den ersten Jahrhunderten hatte das Reich auch keine Hauptstadt. Mächtig waren die Territorialherren.

Weil sie keinen mächtigen Kaiser wollten, wählten die Kurfürsten nach einer Zeit des Interregnums 1273 nicht einen Herzog, sondern einen eher unbedeutenden Grafen, nämlich Rudolf IV von Habsburg, zum deutsch-römischen König Rudolf I (zu einer Kaiserkrönung in Rom reichte es in seinem Fall nicht). Nach dem Tod von König Rudolf im Jahre 1291 wurde 1298 der nächste Habsburger zum König gewählt, Albrecht I, der 1308 von seinem Neffen ermordet wurde. Zur Erinnerung an ihn wurde die Klosterkirche Königsfelden erbaut. Erst 1438 wurde der nächste Habsburger gewählt. Aber dann folgte eine jahrhundertelange Reihe von Habsburger Königen und Kaisern, die nur zwischen 1742 bis 1745 unterbrochen wurde.

Als Friedrich III 1440 zum König gewählt wurde, erbat er sich fünf Wochen Bedenkzeit, bevor er die Wahl annahm. Zur Kaiserkrönung nach Aachen reiste er erst zwei Jahre später. Die mächtige Maria Theresia, Herrscherin dank der von ihrem Vater Karl VI verkündeten Pragmatischen Sanktion, liess ihren Ehemann Franz Stephan von Lothringen zum König und zum Kaiser krönen. Die Dynastie hiess von nun an Habsburg-Lothringen.

Weitere wichtige Objekte in der Schatzkammer sind verschiedene Szepter und Kronen, der Reichsapfel, Kleider und Erkennungszeichen der Herolde, Orden, darunter der Orden vom Goldenen Vlies, dann die unveräusserlichen Erbstücke des Hauses Österreich (darunter eine Achatschale, die als Heiliger Gral galt), und schliesslich, ganz wichtig, die Heilige Lanze, die der deutsche König Heinrich I vom burgundischen König Rudolf II erwarb, also vom Vater der späteren Kaiserin Adelheid. Sie galt als Waffe des Heiligen Mauritius, als Lanze von Kaiser Konstantin, gar als Lanze des Longinus, der Christus seine Wunde zufügte, und schliesslich als Nagel vom Kreuz. Auf einer Goldmanschette wurde im 14. Jahrhundert die Inschrift LANCEA ET CLAVVS DOMINI hinzugefügt, Lanze und Nagel des Herrn.

Die Objekte, die in Glaskästen liegen, sind heute nicht besonders eindrücklich, und viele Besuchergruppen besuchen in der Hofburg das Sisi-Museum und nicht die Schatzkammer. Aber ihre Bedeutung in der Vergangenheit, als sie die Legitimität der Herrschaft religiös untermauerten, sollten wir nicht unterschätzen.

Für den 1493 verstorbenen Friedrich III, den wir erwähnt haben, wurde zwanzig Jahre nach seinem Tod im rechten Seitenschiff des Chors des Stephansdoms ein monumentales Hochgrab errichtet, das wir am Nachmittag besichtigen (die spätgotische Kanzel und den Friedrichsalter im linken Seitenschiff des Chors beachten wir auch).

Neben dem Hochgrab berichten wir aus dem schwierigen Leben des Mannes, der 1415 geboren wurde, in der Wiener Hofburg während einer Belagerung durch seine Feinde fast ausgehungert wurde, der aber viele seiner Gegner überlebte und der an vielen Gebäude die Devise AEIOU anbringen liess, beispielsweise auch an der Empore der Wiener Ruprechtskirche. Die Bedeutung der Vokale galt lange als unklar oder geheimnisvoll. Ich denke, dass der Historiker Konstatin Langmaier richtig liegt mit seiner These, die mir aus Presseberichten bekannt ist. Er deutet die Folge von Vokalen als das Motto in Versform Amor electis iniustis ordinor ultor. Offenbar findet sich der Vers in Texten Friedrichs, in denen es um die Rechtmässigkeit seiner Herrschaft geht.

Wie übersetze ich den Vers nach sechseinhalb Jahren Lateinunterricht und Jahrzehnten des Vergessens? Ordinor = ich werde [dazu] bestimmt, electis [Dativ Plural], also den Auserwählten amor die Liebe [zu sein und] iniustis, also den Ungerechten, ein Rächer, ultor. Der Autor des Verses sieht seine Herrschaft als Mission für die Gerechtigkeit.

Wir haben in dem Vers implizit auch die Gegenüberstellung von Venus, Göttin der Liebe, und Mars, Gott des Krieges. In Rom gab’s einen Tempel für Mars Ultor, der für Zeremonien im Zusammenhang mit dem Krieg eine Rolle spielte. Da Roms Stadtgründer Romulus laut der Legende sowohl von Irdischen als auch, über Umwege, von Mars und Venus abstammt, und da sich die Habsburger ebenfalls entsprechende Genealogien konstruierten, passte der Vers für einen Habsburger. Für die spätere imperiale Interpretation Austriae est imperare orbi universo  – es ist an Österreich, den ganzen Erdkreis zu beherrschen –   war es zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als Friedrich erst Herzog der Steiermark, von Kärnten und der Krain war, gewiss zu früh.

Friedrich III gelang es, die Heirat seines Sohnes Maximilian (hier porträtiert von Albrecht Dürer 1519) mit der Tochter und Erbin Karls des Kühnen einzufädeln, die nicht nur das heutige Burgund mit in die Ehe brachte, sondern auch die reichen Handelsstädte von Brabant, Flandern und Holland, die dem Herzogtum Burgund gehörten. Maximilians Stellung war dann oft bedroht, und ohne die Zusammenarbeit mit dem Kaufmann, Bankier und Bergbauunternehmer Jakob Fugger in Augsburg hätte er sich wohl nicht durchsetzen können.

Die Kaiserkrönung von Friedrich III und seine Heirat mit einer portugiesischen Königstochter wurde von seinem Sekretär Enea Piccolomini (1404-1464) organisiert, dessen Büste wir später an der Fassade der Kathedrale von Triest sehen werden. Der Jurist und humanistische Gelehrte wurde gegen Ende seines Lebens Bischof von Triest und schliesslich 1458 Papst mit dem Namen Pius II.

Das Motto AEIOU sehen wir auf dem Deckenfresko im barocken Prunksaal der Nationalbibliothek. Für den Bau beauftragte Kaiser Karl VI den Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach. Den Mann stellen wir am folgenden Tag in Schönbrunn vor. Es lohnt sich im Prunksaal, die Bedeutungen der allegorischen Figuren auf dem Deckenfresko zu studieren, die auf einem Bildschirm abgefragt werden können.

Am Abend haben wir Karten für eine Aufführung im Theater in der Josefstadt. Das Theater besteht seit 1788, das Gebäude wurde 1822 neu erstellt. Wir sehen uns das Original-Zauberspiel mit dem Titel Der Alpenkönig und der Menschenfeind an, erstmals aufgeführt 1828. Der Autor heisst Ferdinand Raimund. Wir erklären die Handlung vor der Aufführung und stellen den Autor vor. Ich erwarte ein seltsames, wenig zeitgemässes Stück, geschrieben von einem mir bisher nicht bekannten Autor, der selbst Schauspieler war und ein seltsamer Mensch – er erschoss sich 1836 aus panischer Angst vor der Tollwut, nachdem ihn ein Hund gebissen hatte.

Die Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler, die teilweise sprechen und teilweise singen, finden wir aber überzeugend, ausgezeichnet, hervorragend, auch das Orchester spielt sehr gut. Ein Kompliment dem Theater in der Josefstadt, das wir hiermit allen, die Wien besuchen, empfehlen.

Nach einem intensiven Tag im Zentrum von Wien fahren wir am nächsten Tag zum Schloss Schönbrunn. Über der Stadt liegen Wolken. Über Schönbrunn zeigt sich die Sonne. Ein starker Herbstwind weht.

Schönbrunn ist eine Sommerresidenz, vergleichbar mit Versailles, Fontainebleau, Compiègne, Caserta, Venaria Reale, Sanssouci, Windsor, El Escorial, und so weiter, nicht zu weit entfernt von der Hauptstadt und nicht zu nahe, und in der Nähe eines Jagdgebiets, wo für die Hofgesellschaft Jagden organisiert wurden, eine Freizeitbeschäftigung, die dem Adel vorbehalten war. Malereien und Wandteppiche an solchen Schlössern haben dann jeweils auch die Jagd zum Thema, und die Jagdgöttin Diana darf nicht fehlen.

Die Zahl der bei der Jagd erlegten Tiere wurde in Schönbrunn und anderswo fein säuberlich in detaillierte Schusslisten eingetragen. Als besonders schiesswütiger Habsburger galt der 1914 in Sarajewo erschossene Thronfolger Franz Ferdinand. Laut den erhaltenen Verzeichnissen erlegte er in seinem Leben 274’889 Stück Wild, darunter an einem Tag im Juni 1908 2763 Lachmöwen. In Afrika erschoss er auch Elefanten, Tiger und so weiter.  

Nach der Belagerung Wiens durch die Armee der Osmanen im Jahr 1683 war das Schloss Schönbrunn nicht mehr bewohnbar. Johann Bernhard Fischer, später geadelt und mit dem Namen Fischer von Erlach, zeichnete Pläne für ein neues Schloss, neben dem Versailles bescheiden ausgesehen hätte. Der 1656 in Graz geborene Fischer war der Sohn eines Bildhauers. Er bildete sich in Rom weiter, arbeitete auch in Neapel und reiste 1682 nach Wien, als er vernahm, dass in Wien eine Pestsäule gebaut werden solle. Er erhielt zwar den Auftrag zum Bau nicht, durfte aber mitarbeiten, fand Anerkennung, baute in Salzburg und Umgebung fünf Barockkirchen und ein Schloss, erbaute für Prinz Eugen auch das Wiener Stadtpalais. 1715 gewann er den Wettbewerb für den Bau der Wiener Karlskirche. Fischer von Erlach hat nichts mit dem Städtchen Erlach am Bielersee zu tun. Seine Mutter war in erster Ehe mit einem Mann namens Erlacher verheiratet.

Kaiser Karl VI, der Vater von Maria Theresia, zeigte wenig Interesse für sein Schloss und schenkte es 1740, noch vor seinem Tod, der Tochter. Ihr gefiel das Schloss, mit dem sie angenehme Erinnerungen verband. Schliesslich hatte sie sich dort in den jungen Franz Stephan verliebt, der dort zu Besuch war. Dieser war aus dynastischer Sicht zwar nicht der ideale Heiratskandidat, die willensstarke Maria Theresia setzte sich aber durch und heiratete ihn. Sie liess das Schloss zu ihrer Sommerresidenz ausbauen. Da die europäischen Höfe in einem kulturellen Wettstreit miteinander standen, gab es am Hof auch Maler. Maria Theresia schätzte den Genfer Jean-Étienne Liotard (1702-1789), von dem im Gelben Salon des Schlosses das realistische Kinderporträt Mädchen mit Puppe zu sehen ist.

Wie in vergleichbaren Schlössern führt der Besucherrundgang durch repräsentative Säle und private Räume mit pompösen Betten, Sitzgruppen, gedeckten Esstischen, Gemälden, chinesischen Lacktafeln, Musikinstrumenten, Uhren, Vasen, Statuen, Leuchtern und anderen Kostbarkeiten. Ein Höhepunkt des Rundgangs ist die Grosse Galerie mit den Deckengemälden von Gregorio Guglielmi, die das Herrscherpaar Franz Stephan und Maria Theresia verherrlichen und die Kronländer der Monarchie darstellen.

Wichtig war das Schloss auch für Franz Josef, der von 1848 bis 1916 regierte, 68 Jahre lang. Anfänglich war Schönbrunn seine Sommerresidenz, gegen Ende des Lebens wohnte er hier ganzjährig, schliesslich starb er im Schloss. Auf dem Rundgang sieht man sein Arbeitszimmer, sein spartanisches Bett, die Krüge, die er für seine Körperhygiene verwendete, und den Betschemel, auf dem er kniete, um zu beten.

Auf dem Weg durch den Schlosspark halten wir an bei der römischen Ruine, die sich hier seit 1778 befindet. Es handelt sich um eine von Grund auf neu erbaute Ruinenlandschaft, nichts stammt aus Rom oder aus römischen Ausgrabungen.

Die Mittagszeit verbringen wir im Café in der Gloriette, einem glorreichen Bau zu Ehren des Herrscherpaars Franz Stephan und Maria Theresia, der 1775 auf einem Hügel über dem Schlosspark erbaut wurde (das erste Bild dieses Berichts stammt von dort). Von der Dachterrasse der Gloriette sehen wir das Schloss Schönbrunn in seiner Ausdehnung. In der Ferne erblicken wir die Türme des Stephansdoms und die Bürotürme des modernen Zeitalters.

Dann fahren wir mit der U4 zum Karlsplatz und zur barocken Karlskirche, die ab 1713 nach einer Pestepidemie aufgrund eines Gelübdes von Karl VI erbaut wurde. Die zwei Säulen mit Reliefs, die die Fassade umrahmen und Szenen aus dem Leben des Heiligen Karl Borromäus darstellen, sind inspiriert von der Trajanssäule in Rom. Karl Borromäus oder Carlo Borromeo, dem die Kirche gewidmet ist, war ein führender Organisator der Gegenreformation, der aus Arona am Lago Maggiore stammte. In den katholischen Gebieten der Eidgenossenschaft sorgte er für jesuitische Lehrer. Bei seinen Pastoralvisiten im Misox erzwang er mit Foltermethoden Bekehrungen zum richtigen Glauben, so wird berichtet, und elf Personen, die sich weigerten, wurden verbrannt. 1610 wurde Carlo Borromeo heiliggesprochen.

Für den Besuch der Kirche wird Eintrittsgeld verlangt. Das hat in Wien für Diskussionen gesorgt. Haben wir dazu eine Meinung? Ja.

Die Renovation und der Unterhalt von Kirchenräumen kosten Geld. Wer von weit her kommt, wird die neuneinhalb Euro bezahlen, die der Eintritt kostet, denn der Kirchenraum ist eine eindrückliche architektonische Sehenswürdigkeit. Aber Kirchenräume sollten auch denen als Ort des Gebets, der Ruhe und der Besinnung zur Verfügung stehen, die dort wohnen oder aus Ländern kommen, in denen die Einkommen niedriger sind als in der Schweiz. Generell sind die Eintrittspreise in Wien wohl für viele über der Schmerzgrenze.

Die Economist Intelligence Unit stellt jedes Jahr eine Rangliste der Städte mit der höchsten Lebensqualität zusammen, und da ist Wien 2024 an erster Stelle. Andere Ratings stellen Wien ebenfalls an die Spitze oder in die vordersten Ränge. Welchen Wert haben solche Ranglisten, wenn das Betreten einer Kirche unerschwinglich teuer wird?

Gut und preisgünstig ist dafür der öffentliche Verkehr. Weniger als 20 Euro kostet ein Ticket für sieben Tage Wien im Vorverkauf. Auch die Bahntickets nach Wien sind erschwinglich, wenn man sie zwei Monate zum Voraus kauft. Für eine Fahrt von Zürich nach Wien haben wir auf dem Portal der ÖBB weniger als 40 Euro bezahlt.

Bei unserem Besuch hängt in der zentralen Kuppel der Karlskirche die raumgreifende Kunstinstallation aus Neonröhren mit dem Namen Forms through folds (ascending) des britischen Künstlers Cerith Wyn Evans. Die Gesamtlänge der Röhren beträgt 700 Meter. Für das tonnenschwere Gebilde wurden auch eineinhalb Kilometer Kabel verwendet. Der Künstler ermögliche mit seinem Werk ein vielfältiges Interpretationsangebot für die Besucher:innen, kommentiert die Webseite parnass.at, während vienna.info abschliessend über das Werk meint, it ultimately remains incomprehensible either as a whole or in detail. Auf einem Zettel, der in der Kirche aufliegt, ist ein Text von P. Rektor DDr. Marek Pukalik, O. Cr. (die Titel sind eindrücklich) vom 31. Jänner 2024 abgedruckt. Der Geistliche glaubt im Kunstwerk jene Dynamik von Ordnung und Chaos, von Licht und Nichts zu erkennen, die ihn an die Schöpfung erinnert.

Nun ist es aber vorstellbar, dass eine ahnungslose Besucherin oder ein ebensolcher Besucher neuneinhalb Euro Eintritt bezahlt, um die Deckengemälde der Kuppel zu betrachten, und dass dieser Mensch enttäuscht ist, wenn die Leuchtröhren die Sicht verdecken, ein Umstand, auf den die jungen Damen an der Kasse nicht hingewiesen haben. Eine so enttäuschter Mensch sagt sich dann vielleicht, dass man unbegreifliche Dinge oder die Dynamik von Ordnung und Chaos auch anderswo in der Stadt erkennen kann, ohne Eintritt zu bezahlen.

Nicht weit von der Karlskirche liegt die Wiener Secession. Die 1897 gegründete Künstlervereinigung distanzierte sich vom akademischen Mainstream und eröffnete 1898 ihr eigenes Ausstellungshaus. Die Ausstellung des Jahres 1902 war Ludwig von Beethoven gewidmet. Gustav Klimt (1862-1918) malte dafür den Beethovenfries, der heute im Untergeschoss zu besichtigen ist, und über dessen Bedeutung ein gut gemachter Audioguide Auskunft erteilt.

Im Zentrum des Raumes mit dem Beethovenfries befand sich die erstmals ausgestellte Skulptur Beethovens von Max Klinger, ein monumentales Werk, drei Meter hoch, siebeneinhalb Tonnen schwer, aus dreizehn Einzelteilen und verschiedenen Materialien: Bronze, Marmor, Albaster, Glas, Bernstein, Elfenbein. Heute sitzt der berühmte Musiker auf seinem Bronzesessel im Museum für bildende Künste in Leipzig, das wir im Rahmen einer Reise in die Südhälfte der ehemaligen DDR im August 2025 besuchen werden.

Vermutlich besuchen die wenigsten Bildungsreisenden das Heeresgeschichtliche Museum, zu dem wir uns am nächsten Freitagmorgen begeben. Wie haben auf dem Heldenplatz schon erwähnt, wie eng das Militärische mit der Kultur verbunden ist. Nehmen wir als weiteres Beispiel den Radetzkymarsch, den die Wiener Philharmoniker jeweils am Ende des traditionellen Neujahrskonzerts spielen. Oder das Buch Radetzkymarsch, das Joseph Roth (1894-1939) im Jahr 1932 veröffentlichte. Wir hören uns gemeinsam die Textstelle an, die beschreibt, wie während eines Festes in einer Garnison im Osten des Reiches im Jahr 1914 die Nachricht bekannt wird, dass der Thronfolger in Sarajewo erschossen worden ist. 

Bella gerant alii, tu felix Austria nube, also: Kriege führen andere, du glückliches Österreich heirate. Das war gute Propaganda, und gut ist Propaganda, wenn sie ein Stück Wahrheit enthält. Und doch war Österreich stolz auf seine Armee, stolz auch auf das 1869 k.k. Hofwaffenmuseum, eine Waffen- und Trophäensammlung in dem 1856 fertiggestellten, keineswegs bescheidenen Museumsbau mit 56 Porträtstatuen der berühmtesten, immerwährender Nacheiferung würdigen Kriegsfürsten und Feldherren Österreichs, wie es in einer kaiserlichen Entschliessung aus dem Jahre 1863 heisst. Die 56 Ganzkörperfiguren stehen in der Eingangshalle, alle einheitlich 1,86 Meter gross und aus Carrara-Marmor.

Über eine breite Treppe gelangt man in eine eindrückliche Ruhmeshalle mit grossen Schlachtengemälden, den Wappen der Kronländer und den Namen von 500 Offizieren. Rechts und links geht es zu den chronologisch sich folgenden Ausstellungsräumen mit Gemälden und detaillierten Skizzen aller wichtigen Schlachten, mit Uniformen, Waffen und den erbeuteten Standarten der Feinde Österreichs.

Im sogenannten Ausgleich von 1867 wurde dem ungarischen Reichsteil, der mehr als die Hälfte des Gesamtterritoriums ausmachte, eine sehr weitreichende Autonomie zugestanden, ohne dass die starken slawischen und anderen Minderheiten ähnliche Rechte hätten beanspruchen können. Eine der wenigen gemeinsamen Institutionen der beiden Reichsteile blieb die Armee.

Nachdem die Doppelmonarchie 1908 Bosnien und Herzegowina völkerrechtswidrig annektiert hatte, besuchte der grosse Jäger und Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie 1914 Sarajewo. Das Auto mit offenem Verdeck, in dem die beiden erschossen wurden, steht im Museum. Man sieht ein Einschussloch. Wurde der Erste Weltkrieg dadurch unausweichlich? Nein. Musste Franz Joseph Serbien den Krieg erklären? Gewiss nicht. Oder ist Deutschland alleinschuldig, wie es im Versailler Vertrag steht? Das haben die Sieger so bestimmt, aber falsch ist es trotzdem.

Interessierten empfehle ich das Buch des Historikers Christopher Clark mit dem Titel Sleepwalkers: How Europe Went to War in 1914 aus dem Jahr 2013, das auch in deutscher Sprache erhältlich ist. Die Ausstellung im Heeresmuseum empfehle ich ebenfalls. Grundsätzlich finde ich die Beschäftigung mit den Ursachen des Ersten Weltkriegs wichtig, denn wer den Ersten Weltkrieg nicht versteht, kann den Weg zum Zweiten Weltkrieg wohl kaum verstehen.

Als Kaiser Karl, der nach dem Tod von Franz Josef 1916 nachgerückt war, im Herbst 1918 Reformen ankündigte, war es dazu zu spät. Das Reich spaltete sich rasch auf in ethnische Nationalstaaten, mit üblen Folgen für die Hauptstadt, die abgeschnitten wurde von ihrem nördlichen und östlichen Umland. Die ethnische Zersplitterung setzte sich in den 1990-er Jahren fort, friedlich trennten sich die Tschechische Republik und die Slowakei. Schmerzhafter und blutiger verlief der Prozess bei den Südslawen.

Vom Heeresmuseum sind es nur wenige Schritte bis zum Oberen Belvedere, das wir am Nachmittag besuchen. Die dort untergebrachte Österreichische Galerie ist bekannt für ihre weltweit grösste Sammlung von Bildern von Gustav Klimt. Sein Bild Der Kuss ist der grösste Publikumsmagnet. Abgebildet sind hier nur die Kleider der sich küssenden Figuren.

Das Bild Napoleon am Grossen Sankt Bernhard von Jacques Louis David aus dem Jahr 1801 existiert in fünf Ausführungen des Künstlers. Das Bild des Franzosen auf einem Pferd, das nur auf seinen Hinterbeinen steht, soll die Reiterskulpturen auf dem Heldenplatz inspiriert haben. Caspar David Friedrich, Hans Makart, Koloman Moser, Egon Schiele und andere sind mit eindrücklichen Werken vertreten.

Wer Wien besucht und moderne Kunst schätzt, muss das Obere Belvedere besuchen, sollte dabei aber nicht die historische Bedeutung des Gebäudes vergessen, in dem 1955 der Staatsvertrag mit den Siegermächten zur Neugründung des demokratischen und neutralen Staates Österreichs unterzeichnet wurde.

Im Unteren Belvedere wird während unserer Reise eine Sonderausstellung der Werke des finnischen Malers Akseli Gallen-Kallela (1865-1931) gezeigt, die noch bis anfangs Februar 2025 läuft. Die ausgestellten Bilder nordischer Landschaften erinnern mich an den Expressionismus.

Mit der Darstellung finnischer Mythen leistete der Maler gewiss einen Beitrag zur nationalen Ideologie des jungen Nationalstaates. Ich hätte in der Ausstellung gerne mehr über die Zeit des Malers als Grosswildjäger in Afrika und über seine Rolle im blutigen Bürgerkrieg von 1918 erfahren.

Unterwegs vom Unteren Belvedere kommen wir zum Schwarzenbergplatz mit dem Reiterstandbild des Siegers der Völkerschlacht von Leipzig 1813 und dem Ehrenmal für die Rote Armee von 1945. Im Baltikum, in Polen und in der Ukraine sind ähnliche Denkmäler längst beseitigt worden. In Wien und in Berlin stehen die Denkmäler noch, die an den Sieg der Roten Armee über den Nationalsozialismus erinnern.

Gegen Abend besuchen wir in der Albertina, die am Freitag bis um 20 Uhr geöffnet ist, eine Sonderausstellung mit Bildern von Marc Chagall (1887-1985). Die ausgestellten Werke sind bedeutend und sind bis 9. Februar 2025 zu sehen. Mir persönlich gefallen die frühen Werke besonders.

Den Samstagmorgen beginnen wir mit einem Spaziergang vom Schwedenplatz über den Donaukanal zum Karmelitermarkt im zweiten Bezirk, in der Leopoldstadt. Produzenten verkaufen hier der Stadtbevölkerung Gemüse, Salate, Brot, Käse, Fleisch und Getränke. Der zweite Bezirk war traditionell der jüdische Bezirk etwas ausserhalb der Innenstadt. Die Juden wurden im Jahr 1670 von Kaiser Leopold I ausgewiesen, und an der Stelle der niedergebrannten Synagoge wurde 1671 eine dem Heiligen Leopold geweihte Kirche erbaut. 1848 wurden sämtliche Arbeits- und Wohnbeschränkungen für Juden abgeschafft. Nach dem Ersten Weltkrieg war fast die Hälfte der Wohnbevölkerung im Bezirk jüdisch. Heute gibt es im Bezirk wieder Synagogen sowie jüdische Schulen, Läden und Restaurants.

Anschliessend fahren wir mit der Strassenbahn zum Kunsthistorischen Museum KHM, zum grossen Kunstmuseum, untergebracht in einem repräsentativen Gebäude im Stil des Historismus an der Ringstrasse, 1891 nach zwanzigjähriger Bauzeit durch Kaiser Franz Josef eröffnet. Respektlos und vereinfacht ist das KHM in Wien wie der Louvre in Paris, unten das Ägypten der Pharaonen, oben die pompösen Gemälde nach dem Geschmack der Monarchen.

Auf dem Platz vor dem KHM sitzt Maria Theresia, noch schwerer als in natura, als 6 Meter hohe Figur oben auf einem 19 Meter hohen Sockel, der Entwurf stammt aus dem Jahr 1874, die Einweihung fand 1888 statt. Gegenüber steht das Naturhistorische Museum, zwei Jahre früher eröffnet als das KHM und wie dieses eine gemeinsame Planung der Architekten Karl Freiherr von Hasenauer und Gottfried Semper.

Schon das Stiegenhaus des KHM ist eine Wucht, Bescheidenheit soll hier nicht demonstriert werden. Im Blickfeld die Skulptur von Antonio Canova, die zeigt, wie Theseus den Kentauren erschlägt, es wird hier der Fortschritt der menschlichen Zivilisation gefeiert. Über der monumentalen Treppe das Deckengemälde Apotheose der Renaissance des damals sehr bekannten Ungarn Mihály von Munkácsy. Verschiedene kleinere Gemälde im Stiegenhaus stammen von Künstlern wie Hans Makart und Gustav Klimt.

Einer der wichtigsten Kunstsammler der Habsburger Dynastie war Erzherzog Leopold Wilhelm (1614-1662), Bruder von Kaiser Ferdinand III. Der spanische König Felipe IV war ebenfalls ein Habsburger. Er wollte die Beziehung zu seinen österreichischen Verwandten pflegen und übergab Erzherzog Leopold Wilhelm die Statthalterschaft über die spanischen Niederlande. Dort kaufte Leopold Wilhelm Gemälde, und die sehen wir in Wien.

Zwei grosse Säle im KHM sind dem Maler Rubens gewidmet (links ein Ausschnitt). Ein Raum enthält berühmte Bilder von Pieter Bruegel dem Älteren wie den Turmbau zu Babel oder Die Jäger im Schnee. Berühmt ist auch Die Malkunst von Jan Vermeer, ein Bild, das der Maler nicht verkaufte, sondern bei sich aufbewahrte, vermutlich, um potentiellen Kunden seine Fertigkeit zu zeigen. Dürer, Tizian, Caravaggio, Velázquez und viele andere Künstler sind ebenfalls mit bedeutenden Gemälden vertreten. 

Unter den Schmuckstücken bekannt ist die Gemma Augustea aus der Zeit des Kaisers Augustus, eigentlich nicht eine Gemma, sondern ein Kameo aus Onyx, und das Salzgefäss aus Gold von Benvenuto Cellini.

Das KMH bietet zurzeit eine Sonderausstellung mit dem Untertitel Farbe und Illusion, in der die Bilder Rembrandts (1606-1669) mit denen seines Schüler Samuel Hoogstraten (1627-1678) wetteifern. Die Bilder verblüffen mit ihrem täuschenden Realismus. Die Ausstellung zeigt viele Werke, die in der Öffentlichkeit wenig bekannt sind, weil sie Privaten oder Museen in Nordamerika gehören. Die Ausstellung dauert noch bis zum 12. Januar 2025.

Nach einer Mittagspause, die einige Mitglieder unserer Reisegruppe im Restaurant unter der mächtigen Kuppel des KHM verbringen, besuchen wir die Kapuzinergruft – dahin kommen die meisten Mitreisenden allerdings nicht mit. Die Habsburger pflegten ab dem 17. Jahrhundert einen besonderen Begräbniskult. In der Regel liegen ihre Leichen in der Kapuzinergruft in Sarkophagen aus Zinn und Bronze, die Herzen in der Herzgruft der Augustinerkirche, die Eingeweide in Kupfergefässen unter dem Chor des Stephansdoms. In der Gruft, die auch Kaisergruft genannt wird, liegen 12 Kaiser und 19 Kaiserinnen begraben, aber auch viele andere Familienangehörige. Besonders kunstvoll gestaltet sind die barocken Sarkophage aus dem 18. Jahrhundert. Kaiserin Zita (1892-1989), die Gemahlin des letzten Kaisers Karl, ruht ebenfalls hier, ihr Herz hingegen bleibt im Kloster Muri (Aargau), das die Dynastie im 11. Jahrhundert gestiftet hat.

In den Hügeln um die Wiener Innenstadt gibt es Weinberge. Wir haben uns bei der Auswahl eines Lokals von der Wiener Wochenzeitung Falter leiten lassen und haben im Buschenschank in Residence in Grinzing einen Tisch reserviert. Wir fahren mit der Strassenbahn nach Grinzing und finden den Zugang zum Haus, der mit einem Zweig markiert ist.

Die Winzerin öffnet ihr Haus für Gäste 2024 an fünf Wochenenden im Herbst. Die Leute sitzen an einfachen Holztischen, trinken und essen kalte Speisen, die Tische sind alle besetzt, die Stimmung ist gut. Überzeugt hat uns ein Wein mit der Bezeichnung Ringelspiel, der aussieht wie ein Weisswein. Auf der Karte steht dazu: gemischter Satz aus Sievering, uralte Reben, nix Intervention, vielviel Aroma, enthemmtes Ding. Die Winzerin klärt auf, was gemischter Satz bedeutet. Auf der Webseite des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft steht es ausführlich: Der Gemischte Satz ist eine Weinspezialität aus bis zu zwanzig weißen oder roten Rebsorten mit unterschiedlichen Reifezeitpunkten und unterschiedlichen Säuregrad, die gemischt im Weingarten ausgepflanzt werden und gemeinsam gelesen, gekeltert und vergoren werden. Der klassische und traditionelle Gemischte Satz wird aus den weißen Rebsorten Grüner Veltliner, Muskateller, Neuburger, Rheinriesling, Traminer und Weißburgunder hergestellt. Weine, die nach dieser Methode hergestellt werden, zeichnen sich durch Individualität und Herkunft aus. Das Spektrum reicht von leicht und fruchtig bis kraftvoll und vielschichtig. Der Gemischte Satz gilt als Symbol und Spiegelbild der Wiener Kultur.

Damit wären wir wieder bei der Kultur, die auf einer Kulturreise nicht fehlen darf.

Sonntag, es bleibt uns ein Tag in der Hauptstadt des Imperiums. Wir tun, was die kaiserliche Familie am Sonntagmorgen tat, wir gehen in die Augustinerkirche, zum Hochamt, an diesem Tag mit Prior P. Mag. Dominic Sadrawetz OSA. Die Kirche ist voll, gefeiert wird das Hochfest Mariens, der Königin des Heiligen Landes, dazu gibt es hier klassische Musik in dem Rahmen, für den sie komponiert wurde, die Messe in C-Dur von Franz Schubert (nicht die ganze, wie eine Mitreisende enttäuscht feststellt), das Arioso Weh ihnen, dass sie von mir weichen aus dem Oratorium Elias von Felix Mendelssohn-Batholdy, die Kirchensonate in C-Dur KV 263 von Wolfgang Amadeus Mozart, Stücke von Mendelsohn-Bartholdy und die Fuge aus Ad nos, ad salutarem undam von Franz Liszt. Im Heiligen Land herrscht Krieg, wir beten für den Frieden.

Nach der Messe gehen wir ins Museumsquartier. Dort kann man auch essen. Anschliessend besuchen wir das 2001 eröffnete Leopold Museum, benannt nach dem Familiennamen des Sammlers. Darin befindet sich die weltweit grösste Sammlung von Bildern des früh verstorbenen Malers Egon Schiele (1890-1918), aber auch Gemälde von Hans Makart, Gustave Courbet, Tina Blau-Lang, Koloman Moser, Gustav Klimt. Ernst Ludwig Kirchner, Gabriele Münter, Lovis Corinth, Christian Schad (unten ein Ausschnitt aus einem Bild mit dem Titel Marcella von 1926).

Zum Schluss unseres Aufenthalts in Wien besuchen wir ein Bauwerk des Architekten, der uns in Ljubljana beschäftigen wird. Es handelt sich um die Heilig-Geist-Kirche im 16. Bezirk. Wir gehen eine Strecke zu Fuss durch das Quartier Ottakring, das sich sichtlich von der Innenstadt unterscheidet. Hier leben noch Menschen.  

Jože Plečnik (1872-1957), für die Wiener Josef Plečnik, ein Schüler des bekannten Wiener Architekten Otto Wagner, erbaute diese erste Kirche aus Eisenbeton in Österreich in den Jahren 1911 bis 1913. Das Patronat für die Kirche übernahm Herzogin Sophie von Hohenberg, die 1914 mit ihrem Mann, dem leidenschaftlichen Jäger, in Sarajewo starb. Sie liess die Kirche dem Heiligen Geist weihen. Die Eingangsseite der Kirche erinnert an die Tempel von Paestum. Im Tympanon steht die Inschrift im Beton: DER GEIST IST ES DER LEBENDIG MACHT DAS FLEISCH NUTZET NICHTS, ein Zitat aus dem Evangelium des Johannes.

Am Montag beginnt eine neue Woche. Wir stehen etwas früher auf als gewohnt, fahren zum Hauptbahnhof und setzen uns in den Zug nach Triest. Der Zug hat einen Namen, Emona, so hiess Ljubljana zu römischer Zeit.

Der Morgen ist anfänglich etwas neblig, aber wir fahren nach Süden. Bald beginnt die kurvige, 1855 eröffnete Strecke über den Semmering, und es strahlt die Sonne, die herbstlichen Wälder präsentieren sich farbig. Die Felsen entlang der Strecke sehen aus, als hätte man sie bewusst bildwirksam in der Landschaft abgestellt. Die Strecke wurde ja auch oft abgebildet, beispielsweise auf der 20-Schilling-Banknote.

Auf dem Pass hält der Zug am Bahnhof Semmering genau gegenüber dem Denkmal, das dem Erbauer der Semmeringbahn Carl Ritter von Ghega gewidmet ist. Rechts neben dem Porträt-Medaillon aus Bronze steht auf einer Tafel ein Zitat des Ingenieurs aus dem Jahr 1851: Durch die Eisenbahnen verschwinden die Distanzen, die materiellen Interessen werden gefördert, die Kultur gehoben und verbreitet. Und schon sind wir wieder bei der Kultur.

Unter dem Semmering wird seit 2012 an einem Basistunnel gebaut, die Eröffnung ist für 2030 vorgesehen.

Weiter geht es durch einen kurzen Scheiteltunnel, auf der anderen Seite Hochnebel. Dann fährt der Zug abwärts nach Mürzzuschlag, dem Fluss Mur entlang nach Graz, über die Grenze bei Spielfeld-Strass und weiter nach Maribor, deutsch Marburg, dort wird die Drava (deutsch Drau) überquert, der Zug fährt durch eine Ebene, dann durch Hügel, inzwischen scheint auch wieder die Sonne. Wir erreichen Celje, in österreichischen Zeiten Cilli, fahren abwärts dem Fluss Savinja entlang auf einer kurvigen Strecke bis Zidani Most, dann weiter, talaufwärts, dem Fluss Sava entlang bis kurz vor Ljubljana. Unterwegs steht der höchste Hochkamin Europas neben der Bahnlinie in der ehemaligen Bergbaustadt Trbovlje, 360 Meter hoch, erbaut 1976, stillgelegt 2016.

In Ljubljana, deutsch Laibach, durchqueren wir das historische Bahnhofgebäude und erreichen in wenigen Minuten unser Hotel. Der Himmel ist wolkenlos und die Stadt mit ihren zahlreichen Gebäuden im Stil Fin de Siècle lädt ein zu einem Spaziergang.

Die Hauptstadt von Slowenien wirkt modern und fröhlich, die Strassen sind sauber, überall wird Abfall gesammelt, getrennt. Die Menschen kleiden sich elegant. Die slowenische Sprache, die man hört, tönt angenehm. Die Anschriften sind für Menschen, die andere slawische Sprachen sprechen, manchmal verständlich, manchmal aber auch urkomisch, weil die slawischen Sprachen zwar verwandt, aber eben doch unterschiedlich sind. Die Flagge des Landes Slowenien ist eine Trikolore mit den Streifen weiss, blau und rot, wie die Flaggen Russlands und der Slowakei, mit einem Schild auf der linken Seite, darauf sind zwei Wellen abgebildet, die für das adriatische Küstenland stehen, weiter drei Bergspitzen, für den höchsten Berg Triglav in der Untersteiermark, und zuoberst drei Sterne, die aus dem Wappen der Grafen von Cilli stammen und das ehemalige österreichische Kronland Krain bezeichnen, dessen Hauptstadt Laibach war.

Um uns in die Zeit des Imperiums zurückzuversetzen, haben wir für uns und unsere Mitreisenden den Text über das Herzogtum Krain aus dem Brockhaus Jahrgang 1895 kopiert. Die Krain kam in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts durch eine Heirat zu Österreich, noch zur Zeit der Babenberger, die vor den Habsburgern regierten.

Im Moment des Zusammenbruchs der Doppelmonarchie wurde anfangs Oktober 1918 ein Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben gegründet, aber bald rückten italienische Truppen nach Slowenien vor. Da baten die Slowenen die Serben um Hilfe. Kämpfe über die Zugehörigkeit des Gebiets zum neuen Königreich Jugoslawien gab es 1919 auch mit Kärnten. Amtssprache des Königreichs war serbo-kroato-slowenisch, der politischen Situation entsprechend, während wir heute im gleichen Sprachraum vier Sprachen haben, der veränderten politischen Situation entsprechend, nämlich slowenisch, kroatisch, serbisch und bosnisch. Dies zum Thema, wie der Unterschied zwischen Sprache und Dialekt festgelegt wird.  

Da die Serben schon vor 1914 ihr Königreich und ihre Armee hatten und die österreichische Forderung Serbien muss sterbien sich im Weltkrieg nicht durchsetzen liess, war es nicht verwunderlich, dass die Serben in der Verwaltung und Armee des neuen Königsreichs Jugoslawien mit seiner Hauptstadt Belgrad überproportional vertreten waren, aber es führte zu einer politischen Krise. Nachdem 1928 ein beleidigter Montenegriner mitten im Parlament zwei Vertreter der kroatischen Bauernpartei erschossen hatte, übernahm der König 1929 mit Hilfe des Militärs die Macht. Bei einem Besuch in Marseille wurde er darauf 1934 von einem Mitglied der kroatischen Ustascha erschossen.

Slowenien wurde 1941 dann aufgeteilt zwischen dem faschistischen Italien, das das Küstengebiet bis und mit der neuen italienischen Provinzhauptstadt Lubiana annektierte, und dem Deutschen Reich, das in der Untersteiermark und im Nordteil der Krain eine Zivilverwaltung einrichtete. Kleinere Gebiete wurden Ungarn und dem neu gegründeten kroatischen Ustascha-Staat angegliedert. Nach dem Versuch eines italienischen Separatfriedens mit den Alliierten 1943 besetzte Deutschland die vorher italienischen Gebiete Sloweniens. Schon im Frühling 1941 wurde in Slowenien eine antifaschistische Befreiungsbewegung gegründet, die bis zum Kriegsende mit den Partisanen Titos und den Alliierten zusammenarbeitete, dabei aber nicht nur gegen die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS kämpfte, sondern auch gegen die Domobranci, die Angehörigen der Heimwehr, die mit den Besetzern zusammenarbeitete. Nachdem das Ustascha-Regime im Konzentrationslager Jesenovac und anderswo systematisch Serben, Juden und Zigeuner getötet hatte, kam es im Mai 1945 auf slowenischem Gebiet und in der Grenzstadt Bleiburg in Kärnten zu Massakern an Kollaborateuren und ihren Familienangehörigen durch die Partisanen.

Im sozialistischen Jugoslawien der Nachkriegszeit war Slowenien die wohlhabendste Teilrepublik. Der Slowene Edvard Kardelj war ein enger Vertrauter von Marschall Tito und während langen Jahren der wichtigste Theoretiker der Arbeiterselbstverwaltung, delavsko samoupravljanje bzw. serbo-kroatisch radničko samoupravljanje. Anders als im sowjetischen Wirtschaftssystem mit seiner zentralen Wirtschaftsplanung sollten die Arbeiter in Jugoslawien selbst ihre Produktionsziele und Preise festlegen und die Direktoren ihrer Fabriken wählen. In den 1980-er Jahren zeigte sich, dass sowohl die Sowjetunion als auch das jugoslawische Modell nur mit einer Umgestaltung zu retten waren. Schliesslich scheiterten beide Formen des Sozialismus etwa gleichzeitig. Eine lange Geschichte, möglicherweise ein Thema für eine zukünftige Reise.

Von der Miklošičeva cesta, an der unser Hotel liegt, gelangen wir am Hotel Union (1903-1905) vorbei geradewegs auf den heute verkehrsfreien Hauptplatz Prešernov trg, der dem Poeten France Prešeren gewidmet ist, auszusprechen etwa so, wie man deutsch Franze Prescheren aussprechen würde. Er lebte von 1800 bis 1849, schrieb Liebes- und Naturlyrik und gilt als slowenischer Nationaldichter.

Sein Denkmal steht auf dem Platz seit 1905. Die Frau, die er als seine Muse auserwählt hatte, verschmähte die Gunst des armen Dichters und Bauernsohns, aber hält nun doch einen Lorbeerzweig in der Hand.

Dem Platz zugewandt ist auch die Hauptfassade der Franziskanerkirche aus dem 17. Jahrhundert und das Urbanc-Haus aus den Jahren 1902-1904, heute Galerija Emporium, ein fünfstöckiges Gebäude, über dessen Giebel sich der Gott des Handels erhebt, Merkur.

Die wohl wichtigste Sehenswürdigkeit des Platzes ist aber die dreifache Brücke, Tromostovje, die das Flüsschen Ljubljanica überquert und deren Bau ein Werk von Jože Plečnik ist. Erbaut wurde sie 1931 und 1932. Die mittlere Brücke war für die Fahrzeuge vorgesehen, die beiden seitlichen Brücken, die nicht parallel verlaufen, für die Fussgänger. Die drei Brücken sind nicht allzu breit und wirken mit ihren Balustraden und den von Plečnik gestalteten Leuchtern elegant. Die Bauwerke von Jože Plečnik gelten also gutes Beispiel einer am Menschen orientierten Stadtplanung (human centered urban design) und sind seit 2021 als UNESCO-Welterbe anerkannt. Von Plečnik stammen auch die Kolonnaden, die man nach dem Überqueren der Brücke auf der linken Seite sieht, unter denen kleine Läden und Cafés untergebracht sind.

Wenn man von der Brücke geradeaus weitergeht, gelangt man ins Zentrum der Altstadt, auf den Stadtplatz Mestni trg mit dem Rathaus unter dem steilen Burgberg. Von dort erstrecken sich links und rechts die beiden Hauptgassen der Altstadt mit vielen Läden und Restaurants. Weiter wollen wir die Ufer der Ljubljanica als Ausgehviertel erwähnen. Das Land hat zwar eine kleine Bevölkerung, aber die trifft sich hier, und es ist hier abends immer viel Betrieb.

Am nächsten Morgen sprechen wir im Hotel über die Geschichte Sloweniens und Jugoslawiens, während sich der Nebel über der Stadt langsam lichtet. Dann gehen wir über die Drachenbrücke zur Standseilbahn und fahren hoch zur Festung Ljubljanski grad. Die ständige Ausstellung zur Geschichte Sloweniens finde ich gut gemacht. Die verschiedenen Epochen der Geschichte Sloweniens werden sachlich, ausführlich und verständlich präsentiert.

Viele in den 1990-er Jahren neu entstandene oder sich freier als zuvor fühlende Nationalstaaten in Osteuropa und in der ehemaligen Sowjetunion haben sich, so scheint mir, eine Ideologie zurechtgelegt, in der sie sich primär als arme und unschuldige Opfer äusserer Mächte oder finsterer Ideologien betrachten. Die Ausstellung über die Geschichte Sloweniens berichtet zwar auch über schwierige Zeiten, vermeidet aber erfreulicherweise diese Tendenz, so mein Eindruck.

Von der Ausstellung führt eine Treppe hoch zu einem Turm, der die Festung überragt. Die Sonne zeigt sich inzwischen, und die Aussicht ist nach allen Seiten offen, und überwältigend.

Mit einigen Mitreisenden gehen wir zu Fuss hinunter in die Altstadt und essen im Restaurant Julija, das wir hier erwähnen. Angeblich ist das Lokal in der Hochsaison oft überfüllt, aber kümmert uns das? Wir haben unsere Reisedaten bewusst gewählt. Gibanica als Dessert empfehle ich.

Für den Nachmittag haben wir im Vorverkauf Karten für eine Führung durch das Wohnhaus von Jože Plečnik im Stadtteil Trnovo im Süden der Stadt gekauft. Unterwegs wagen wir einen Blick ins Innere der National- und Universitätsbibliothek, erbaut von Plečnik zwischen 1936 und 1941.

Fantasievoll und offenbar auch solide gemacht die Türgriffe der Eingangstüre, sie allein lohnen einen kleinen Umweg. Nicht weit von der Bibliothek ein Denkmal für gefallene französische Soldaten. In napoleonischer Zeit war Ljubljana zwischen 1809 und 1813 Hauptstadt der Illyrischen Provinzen.   

Die Ausstellung im Wohnhaus kann auch ohne Voranmeldung besucht werden, auch dies lohnt sich. Der Architekt wird mit seinem Lebenslauf vorgestellt, auf einem Stadtmodell von Ljubljana sind alle seine Bauwerke eingezeichnet, und Filmausschnitte zeigen sein Schaffen.

Die privaten Räume des Architekten sind aber nur in Führungen von maximal sieben Personen zu besichtigen – wir haben deshalb unsere Kleingruppe aufgeteilt. Die Führung in englischer Sprache lohnt sich. Sie verschafft einen Einblick in das Leben des arbeitsamen Mannes, der nie heiratete und in einem schmalen und für den grossgewachsenen Mann eher zu kurzen Bett schlief, das mich an das Bett von Kaiser Franz Josef in Schönbrunn erinnert. Das Wohnhaus ist aber geschmackvoll und zweckmässig eingerichtet. Die Stühle stammen von Plečnik selbst, der seine berufliche Laufbahn mit einer Tischlerlehre begann. Die Einrichtung ist unverändert erhalten, und an einer Wand hängt eine schwarz-weisse Fotografie des Poseidontempels von Paestum.

Mittwochmorgen, wir frühstücken, räumen unsere Zimmer und lassen das Gepäck im Hotel, denn unser Zug fährt erst am Nachmittag. Dann gehen wir zu Fuss zur Nationalgalerie.

Die Nationalgalerie befindet sich in einem Gebäude, das 1896 als Narodni Dom, als Volkshaus, erbaut wurde, als Veranstaltungsort für verschiedene slowenische Vereine und als Turnhalle für den slawischen Turnverein Sokol. Seit 1925 befindet sich die Kunstsammlung im Gebäude, das 1993 um einen postmodernen Bau erweitert wurde. Seit 2001 sind die beiden Gebäudetrakte verbunden, und zwischen den beiden Gebäuden, vor Witterungseinflüssen geschützt, steht der Originalbrunnen der drei Krainer Flüsse, der von 1752 bis 2014 vor dem Rathaus stand und dort durch eine Kopie ersetzt wurde.

Lange Zeit war Ljubljana eine Provinzstadt. Wer künstlerisch tätig werden wollte, musste sich in grösseren Städten ausbilden lassen und fand auch dort die Kundschaft, die Kunst bezahlen wollte und konnte. Trotzdem gibt es in der Sammlung der Nationalgalerie neben der religiösen Kunst aus Kirchen und Klöstern bemerkenswerte Werke der modernen slowenischen Malerei. Verschiedene Maler liessen sich von Kunstströmungen in den grossen Zentren Europas inspirieren lassen und wurden Teil dieser Bewegungen, malten in realistischer oder impressionistischer Art, zum Beispiel Porträts oder slowenische Landschaften. Am meisten überzeugt haben mich die Bilder der Malerin Ivana Kobilca (1861-1926), die lange in Paris lebte und dort auch Anerkennung fand.

Nach dem Besuch der Nationalgalerie, auf unserem Rückweg zum Hotel, betreten wir den Wolkenkratzer, den Nebotičnik, lange Zeit das höchste Hochhaus Jugoslawiens, erbaut von 1931 bis 1933. Wir sehen uns das eindrückliche Treppenhaus von unten an und fahren dann mit dem Lift zur Dachterrasse, wo es Kaffee und  Kuchen gibt. Trotz des trüben Wetters geniessen wir die gute Aussicht hinüber zur Altstadt und zum Schloss sowie auf die modernen Quartiere mit ihren neueren Hochhäusern.

Dann nehmen wir unser Gepäck aus der Abstellkammer des Hotels, gehen zum Bahnhof und besteigen kurz nach 14 Uhr den Zug von Wien nach Triest, aus dem wir 48 Stunden vorher ausgestiegen sind. Für Individualreisende sei hier erwähnt, dass weder die slowenischen noch die italienischen Staatsbahnen auf ihren Webseiten auf diesen Zug hinweisen, der von der OeBB angeboten wird. Es ist ein kurzer Zug, der nach Triest fährt – der Speisewagen wird in Ljubljana abgehängt. Während die Fahrt mit dem Flixbus, der vor dem Bahnhof hält, nur eineinhalb Stunden dauert, braucht es für die Fahrt durch das Karstgebirge auf der kurvenreichen, aber historischen Südbahn doppelt so lange.

Die Bahnstrecke wird modernisiert, die Bauarbeiten sind im Gang. Viele Güterzüge sind unterwegs mit Autos und Containern, die meisten wohl zum oder vom slowenischen Hafen Koper. Das adriatische Meer bleibt der wichtigste Zugang Mitteleuropas zu den Weltmeeren.

Haben wir Slowenien verstanden? Das behaupten wir nicht. Vieles bleibt uns verborgen. Wir sind erstaunt, dass die Schweiz ein wichtiger Handelspartner für Slowenien ist. Offenbar gibt es in den Bereichen Chemie und Pharmazeutika einen regen Handel zwischen den beiden Ländern.

Dort, wo der Zug die Ebene von Ljubljana verlässt, beginnt der Karst, eine steinige, wenig besiedelte Landschaft mit niedrigem Baumbestand ohne Bäche und Flüsse. Endlose Steinmauern entlang der Bahnlinie, verschiedene Tunnels, alte, heute überdimensionierte Bahnhöfe ohne Menschen, Schienen, die links nach Rijeka und Koper abzweigen. Man sieht Vertiefungen im Gelände, die den Dolinen im Jura ähnlich sind. Die richtigen Karsthöhlen werden auf Italienisch foibe genannt. Gegen Ende des Krieges und besonders im Mai 1945 wurden sowohl Faschisten als auch italienische Zivilpersonen aus Istrien, aus Dalmatien und aus der Umgebung von Triest von der jugoslawischen Partisanenarmee erschossen, ihre Leichen wurden in Karsthöhlen geworfen. Seit 2004 erinnert sich Italien alljährlich am 10. Februar an diese Massaker.   

Der italienische Grenzbahnhof Villa Opicina gehört schon zur Stadt Trieste, deutsch Triest. Wegen dem Höhenunterschied fährt der Zug aber erst mal weit nach Westen, überquert in grosser Höhe die Autobahn Venedig-Triest, vereinigt sich mit der Bahnlinie von Venedig, führt dem Meer entlang und erreicht schliesslich den Hauptbahnhof von Triest. Wir beziehen unser Hotel am Platz, an dem auch der Bahnhof selbst liegt.

Am Abend spazieren wir zum Canal Grande, der 1756, zu Zeiten von Maria Theresia, als Hafenbecken ausgegraben wurde. Heute wird der Kanal von mehreren fest gebauten Brücken überquert, so dass nur noch kleine Schiffe in den Hafen fahren können. In der gut besuchten Pizzeria Al Barattolo finden wir spontan Platz für unsere Gruppe von hungrigen Reisenden.

Wir haben zwei ganze Tage zur Verfügung für die Stadt Triest. Ist dies nicht zu wenig? Natürlich ist es zu wenig. Zu wenig sind auch fünf ganze Tage für Wien oder 48 Stunden für Ljubljana. Aber es geht uns nicht darum, Sehenswürdigkeiten abzuhaken, sondern um die Anbahnung einer Beziehung. Die Städte bleiben, man kann wieder hinfahren, sich mehr Zeit nehmen.

Für den Donnerstag haben die Meteorologen leichten Regen angesagt. Wir nehmen unsere Regenschirme aus dem Gepäck und machen uns auf, um die Stadt kennenzulernen.

Wir gehen zuerst mal an die Uferpromenade, zum Alten Hafen. Karl VI, der Vater von Maria Theresia, wollte den Zugang seines Reichs zum Meer verbessern und erklärte die Stadt 1719 zum Freihafen. 1728 besuchte er die Stadt, liess die Salinen aufkaufen, die sich im Norden und Süden der Altstadt befanden, und setzte sich zum Ziel, an ihrer Stelle einen modernen Hafen und ein modernes Hafenquartier zu erbauen. Maria Theresia setzte sein Werk fort, wegen der Knappheit der Finanzmittel wurde aber nur ein Hafenbecken gebaut, der erwähnte Canal Grande. Im Laufe der Zeit entstand im Gebiet der ehemaligen Salinen ein neues Wohn- und Geschäftsviertel, heute bekannt als Borgo teresiano. Um den Handel zu beleben, erlaubte Maria Theresia die Niederlassung orthodoxer Griechen, katholischer Armenier und einiger protestantischer Gemeinschaften.

Wir betreten die griechische Kirche San Nicolò dei Greci und dürfen dort mit unserer Gruppe die Geschichte der Stadt, der Schifffahrt, des Versicherungswesens sowie des Lloyd Triestino besprechen, während es draussen etwas stärker regnet als angekündigt.

Lloyd war offenbar der Familienname des Besitzers eines Kaffeehauses in London, in dem sich ab 1686 Seemänner, Händler, Schiffseigner trafen, und bald zusätzlich Versicherer sowie Schiffsbroker, die Transportkapazitäten mieten und vermieten konnten. Daraus entstand mit der Zeit eine Versicherungsgesellschaft Lloyd’s of London, ein Schiffsregister und eine Zeitschrift mit Informationen zur Schifffahrt. Nach englischem -Vorbild wurde in Triest 1833 der österreichische Llyods gegründet, Lloyds austriaco. 1836 übernahm dieser den Postverkehr entlang der Adria, wurde also eine Schifffahrtsgesellschaft. 1848 verkehrten die Schiffe des Lloyd von Triest nach allen wichtigen Höfen der Adria, aber auch nach Athen, Zypern, Konstantinopel, ins Schwarze Meer sowie nach Beirut und Alexandrien.

Auf der Piazza dell’Unità d’Italia erblicken wir den Palazzo del Lloyd triestino, erbaut 1880-1884. In zwei Nischen im Erdgeschoss schöne Frauengestalten, ohne Bezug zur antiken Mythologie geht es nicht. Am rechten Rand der Hauptfassade Venus, am linken Rand die Nymphe Tetis, die schönste der Nereiden und Mutter des Achilles.

Bald gelangen wir zur kleinen Altstadt und steigen hoch, vorbei an einem römischen Tor (Arco di Riccardo). Unser Ziel ist der Hügel San Giusto über der Stadt, auf dem die Kathedrale des Heiligen Justus und die Festung stehen. Der Schlosshügel gehörte in römischer Zeit zur Stadt Tergeste, die Reste einer zivil genutzten Basilika (Säulenhalle) sind dort ausgegraben worden.

Die Kathedrale San Giusto besteht aus zwei parallel zueinander liegenden älteren Kirchen, die im 15. Jahrhundert zu einem Bau vereint wurden. Sie besteht auf der linken Seite aus der Kirche Santa Maria Assunta (Mariae Himmelfahrt) aus dem 12. Jahrhundert und auf der rechten Seite aus der Gedächtniskapelle für den Heiligen Justus aus dem 9. Jahrhundert. Die Mosaike in den Absiden der beiden ehemaligen Kirchen sind Werke von Meistern aus Venedig und Konstantinopel aus dem 12. oder 13. Jahrhundert.

Von der Kathedrale sind es nur wenige Schritte zum höchsten Punkt des Hügels, zum Schloss. Es gibt hier eine Ausstellung über die Geschichte der Stadt. Sie ist weniger aufwändig gemacht als die Ausstellung über die Geschichte Sloweniens im Schloss von Ljubljana, aber es lohnt sich doch, die Schautafeln anzusehen. Nach Kriegen mit der mächtigen Stadtrepublik Venedig unterstellte sich Triest 1382 dem Schutz von Herzog Leopold III von Österreich. (Leopold III starb vier Jahre später, im Jahr 1386, in der Schlacht von Sempach im Kampf gegen die aufsässigen Eidgenossen. Sein Enkel Friedrich III ist der Mann im Hochgrab des Stephansdoms.) Von 1382 bis 1918 war Triest österreichisch, mit einem vierjährigen Unterbruch zwischen 1809 und 1813, zur Zeit der von Frankreich gegründeten Illyrischen Provinzen.

Auch im Schloss Triest gibt es eine Aussichtsterrasse, von dort sieht man den Hafen, die Stadt und das Halbrund der Berge.

Wirklich bedeutend ist die Sammlung antiker Fundstücke im Museo d’Antichità JJ Winckelmann gleich neben der Kathedrale.

Johann Joachim Winckelmann wurde 1717 in Stendal (zwischen Hannover und Berlin) geboren, konnte sich trotz seiner Herkunft weiterbilden, wurde mit 31 Jahren Bibliothekar einer adeligen Privatbibliothek in Sachsen. Seine Kenntnisse beeindruckten den päpstlichen Nuntius, der lud ihn nach Rom ein, wo er 1755 eintraf. Winckelmann besuchte Neapel, Pompei und Herculaneum und publizierte. 1763 ernannte ihn der Papst zum Aufseher über die Altertümer im Kirchenstaat. 1764 erschien seine Geschichte der Kunst des Alterthums. 1768 war er in Wien, wo Maria Theresia ihm für seine Verdienste zwei Gold- und zwei Silbermünzen schenkte, die er in Triest auf der Durchreise einem Hotelkoch zeigte, der ihn dann mit einem Messer tödlich verletzte, um ihm die Münzen zu stehlen.

Winckelmann schätzte vor allem die Kunst der Griechen, die seinem Ideal von Schönheit am nächsten kam: Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke, schrieb er 1755, und prägte damit eine Formel, die heute vor allem ironisch verwendet wird. Er gilt als einer der ersten Autoren der Kunstgeschichte.

Das Museum zeigt ägyptische Altertümer, sehr gut erhaltene griechische Keramik aus Triester Privatsammlungen, antike Glaskrüge, etruskische Keramik, Ausgrabungsgegenstände aus Istrien, Tergeste und Aquileia sowie ein vergoldetes Trinkgefäss, ein in Tarent gefundener Rhytòn mit der Darstellung einer Szene aus der Argonautensage, aus dem zu Ende gehenden 5. oder beginnenden 4. Jahrhundert vor Christus. Im Museum befindet sich auch ein Grabmal für den ermordeten Kunsthistoriker, der aber nicht in Triest begraben ist.      

Nach unserem Mittagessen am Fuss des Hügels besuchen wir das Museum im Haus von Baron Pasquale Revoltella.

Pasquale Revoltella hat einen Lebenslauf, der nur im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Hafenstadt Triest möglich ist. Er wird 1795 in Venedig geboren als Sohn eines Metzgers, zwei Jahre vor der Auflösung und Aufteilung der Republik Venedig im Vertrag von Campoformio durch Napoleon und Kaiser Franz II. Die Familie seiner Eltern zieht um nach Triest, wo die Familie bessere Perspektiven sieht. Pasquale arbeitet anfänglich ab 1817 als einfacher Hafenarbeiter für verschiedene Arbeitgeber, unter anderem für den Kaufmann Theodor Necker, der auch Schweizer Honorarkonsul ist. Dort wird seine Begabung sichtbar, und 1827 erhält er von Necker die Prokura der Firma. So erhält er Zugang zu den Handels- und Finanzkreisen der Stadt und wird einer der Grunder des Lloyd triestino. Weil Kaiser Franz Josef sich nicht mit Staatsgeldern am Bau des Suezkanals beteiligen will, engagiert Revoltella sich als privater Geldgeber und wird Vizepräsident der Suezkanal-Gesellschaft. 1861 reist er mit Ferdinand de Lesseps, dem Präsidenten der Gesellschaft, nach Ägypten, um den Fortschritt des Bauwerks zu begutachten. 1867 wird er für seine Verdienste von Franz Josef zum Baron erhoben. 1869 stirbt er, zwei Monate vor der Einweihung des Kanals, und vermacht der Stadt Triest sein Stadtpalais samt seiner Kunstsammlung. In seiner Residenz weist eine Inschrift darauf hin, dass sie 1859 im Beisein von Erzherzog Ferdinand Maximilian eröffnet wurde, des jüngeren Bruders des Kaisers. Ferdinand Maximilian wird 1864 aufgrund einer Initiative von Napoleon III als Kaiser von Mexiko inthronisiert und drei Jahre später in Mexiko erschossen. Ein Denkmal in Triest erinnert an ihn.

Heute besteht in der Residenz des reichen Kaufmanns und Financiers das Museo Revoltella – Galleria d’Arte Moderna, das grösste kunsthistorische Museum der Stadt. Leider ist der moderne Anbau mit der Kunstsammlung bei unserem Besuch wegen Bauarbeiten nicht zugänglich. Wir können aber die Wohnräume des Barons besichtigen mit älteren Gemälden, mit den Karten, die den Bau des Suezkanals dokumentieren, mit einem gediegenen Speisesaal und einem Bibliothekzimmer mit kunstvoll geschnitzten Bücherregalen.

Sehenswert ist im Treppenhaus des Erdgeschosses die Figurengruppe Fontana della Ninfa Aurisina, mit der an den Bau einer Wasserleitung von Aurisina nach Triest erinnert wird, die der Baron mitfinanzierte, ein Werk von Pietro Magni aus dem Jahr 1858. Im ersten Stockwerk steht vom selben Bildhauer eine ebenso grosse Skulptur mit allegorischen Figuren zum Bau des Suezkanals aus dem Jahr 1863, und im zweiten Stockwerk stellen vier Statuen die vier Jahreszeiten dar.

Am nächsten Morgen gehen wir vorbei am ehemaligen Narodni Dom, einem zwischen 1901 und 1904 erbauten slowenischen Kulturzentrum mit Hotel, das 1920 von den Faschisten niedergebrannt wurde, heute von der Universität benutzt wird, aber bald der slowenischen Bevölkerung zurückgegeben werden soll. Dann kommen wir zur Piazza Oberdan. Das Museo del Risorgimento mit der Gedenkstätte für Guglielmo Oberdan ist noch geschlossen. Aber bedenkenswert ist die Geschichte des Mannes, der für Österreich ein Terrorist ist und für Italien ein Freiheitskämpfer, trotzdem, und wir erzählen sie unseren Mitreisenden im Caffè San Marco.

Wilhelm Oberdank wird 1858 in Triest als uneheliches Kind geboren, seine Mutter ist eine slowenische Hausangestellte aus Görz / Gorizia. Ab 1877 studiert Wilhelm Ingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule in Triest. Er erhält auch ein Stipendium der Stadt, um seine Studien am Polytechnikum in Wien fortzusetzen. Dort liest er die Schriften des kürzlich verstorbenen Republikaners Giuseppe Mazzini. Er lehnt die Besetzung Bosniens durch Österreich im Jahr 1878 ab, befürchtet, dorthin zum Militärdienst eingezogen zu werden, und flieht nach Rom. Dort nennt er sich Guglielmo Oberdan und setzt sein Studium fort. Er schliesst sich dem Trauerzug von Giuseppe Garibaldi an und trägt dabei eine Flagge von Triest, lernt die irredentistische Bewegung und ihren Führer Matteo Renato Imbriani kennen, und erfährt, dass Kaiser Franz Josef zum 500. Jahrestag der Zugehörigkeit der Stadt Triest zu Osterreich erwartet wird.

Er versucht, zwei handwerklich gefertigte sogenannte Orsini-Bomben nach Triest zu schmuggeln, wird beim Überqueren der Grenze verhaftet und erklärt freimütig, dass er ein Attentat gegen Franz Josef plante. Sein Komplize Donato Ragosa aus Istrien ist erfolgreicher. Er kann eine Bombe werfen, Franz Josef überlebt, zwei Personen sterben, Ragosa kann nach Italien fliehen und wird von einem Geschworenengericht in Udine begnadigt. Guglielmo Oberdan aber wird verurteilt und in der österreichischen Kaserne erhängt. Die Kaserne wird später abgebrochen. Die Zelle, in der Oberdan auf seine Hinrichtung wartete, blieb erhalten als Teil einer Gedenkstätte, die zum 1935 eingeweihten Museo del Risorgimento gehört.

Oberdan wird in einer Hymne besungen – Inno a Obedan – man findet die wunderschöne Melodie und den Text mit seiner blutrünstigen Freiheitsliebe –  Morte a Franz, viva Oberdan und so weiter – im Internet.

Das Caffè San Marco ist ein sehr schönes und im Originalstil restauriertes Kaffeehaus, das stilistisch gut in die Doppelmonarchie passt, aber schon bald nach seiner Eröffnung als irredentistischer Treffpunkt bekannt wurde und deswegen beim Kriegseintritt Italiens 1915 von Anhängern Österreichs verwüstet wurde, worauf es lange geschlossen blieb. Wir sprechen dort nicht nur über Oberdan, sondern auch über die Literatur von Triest, besonders über James Joyce und Italo Svevo, und der Ort ist passend, weil sich im Kaffeehaus auch ein Buchladen befindet.

Ich möchte hier noch den Literaturprofessor Claudio Magris erwähnen, der angeblich oft in diesem Kaffee sitzt. Er hat in den 1960-er Jahren eine Doktorarbeit geschrieben, die später in deutscher Sprache erschienen ist mit dem Titel Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur. Magris identifiziert, so wird berichtet, drei Elemente dieses Mythos, es sind erstens die Kombination eines moralisch hohen Reichsideals mit einer Praxis des sich Durchwurstelns, zweitens die bürokratische Korrektheit und Arbeitswut, wie sie sich beispielhaft bei Kaiser Franz Josef zeigt, und drittens der Hedonismus der Untertanen, Oper, Theater, Walzer und mehr. Diese drei Elemente in der Literatur zeigten, dass die moderne österreichische Literatur eigenständig sei und sich von der modernen deutschen Literatur unterscheide.

Valentina Bassanese, Autorin eines Stadtführers über Triest, schreibt 2020: Trieste è stata l’essenza dell’Impero asburgico, und fährt gleich fort mit Magris, una pluralità di componente eterogenee e di contradizioni inconciliabili, la cui soluzione avrebbe comportato la fine dell’Impero stesso e andava quindi protratta e differita il più possibile, Triest sei die Essenz des habsburgischen Imperiums gewesen, eine Vielzahl von heterogenen Komponenten und unversöhnlichen Gegensätzen, deren Lösung das Ende des Reiches bedeutet hätte, und die deswegen so lange wie möglich verlängert und verzögert worden sei. 

Nicht weit vom Kaffeehaus steht die grosse Synagoge, die in den Jahren 1908 bis 1912 erbaut wurde und eigentlich besichtigt werden kann, allerdings nicht zur Zeit unserer Reise, wegen religiösen Feiertagen. Die Synagoge hat den italienischen Faschismus und die direkte deutsche Militärherrschaft überlebt, anders als viele Juden und Antifaschisten, die im Konzentrationslager in der ehemaligen Reismühle San Sabba am Stadtrand von Triest umgebracht oder von dort weiter transportiert wurden.

Am Canal Grande ist ein anderes Gotteshaus einer Minderheit geöffnet, nämlich die serbisch-orthodoxe Kirche San Spiridione aus dem Jahr 1869, die einen früheren Bau aus dem Jahr 1753 ersetzt. In der Kirche gibt es eine Ikonostasis und wertvolle Ikonen aus dem beginnenden 19. Jahrhundert, die aus Russland stammen.

Ebenfalls am Canal Grande, neben dem 1926 bis 1928 erbauten grattacielo rosso, dem roten Wolkenkratzer, steht der Palazzo Gopcevich aus dem Jahr 1850, wo während unseres Besuchs eine temporäre Fotoausstellung über Triest in den 1950-er Jahren gezeigt wird. Der Anlass für die Ausstellung ist die definitive Übernahme der Verwaltung Triests durch Italien in den Tagen zwischen dem 25. und dem 27. Oktober 1954, also vor genau siebzig Jahren. Die Jagdflugzeuge, die bei unserem Besuch unüberhörbar im Tiefflug über die Stadt fliegen, erinnern an das Datum.

Die Bilder in der Ausstellung sind emotional. In den Berichten der damaligen Filmwochenschauen über die Wiedervereinigung der Stadt mit Italien sieht man, wie Menschen lachen, weinen, Polizeisperren durchbrechen, um die ankommenden italienischen Soldaten zu umarmen. Die überbordende Begeisterung steckt auch mich als Betrachter an, aber dann fällt mir ein, dass auch Benito Mussolini begeistert empfangen wurde, und dass sich auch im September 1938 die Menschen dichtgedrängt auf dem grössten Platz zuhörten, als er, ausgerechnet in Triest, die Rassengesetze verkündete.

Sieben Jahre lang, von 1947 bis 1954, haben die Alliierten versucht, die überwiegend italienische Stadt Triest und die vorwiegend slawische Küstenzone südlich von Triest in einen neuen, unabhängigen Staat zusammenzuschweissen, der sich Territorio Libero di Trieste nannte und im Norden, in der Zone A, von britischen und amerikanischen Truppen besetzt war, im Süden, in der Zone B, von jugoslawischen. Das Projekt scheiterte in einer Zeit des beginnenden Kalten Krieges. Die Zone A wurde dann Italien zugeteilt, zunächst provisorisch, die Zone B Jugoslawien. 1975 einigten sich Italien und Jugoslawien auf ihre definitive Grenze in einem Vertrag, der 1977 in Kraft trat. In verschiedenen Auswanderungs- und Flüchtlingswellen strömten die meisten italienischen Bewohner von Istrien und Dalmatien in der Nachkriegszeit nach Triest, oft waren sie mittellos.

Nach einer Mittagspause besuchen wir das neue Literaturmuseum LETS, das an seinem neuen Standort an der Piazza Hortis eben erst im September eröffnet wurde. Das Museum präsentiert die drei literarischen Hauptfiguren der Stadt, den Iren James Joyce (1882-1942), den sich Italoschwabe nennenden Italo Svevo (1862-1928), Sohn eines deutschjüdischen Vaters und einer italienischjüdischen Mutter, und den Lyriker Umberto Saba (1883-1957). Besonders am Museum ist, dass es auch Autoren vorstellt, die nicht italienisch schreiben, sondern englisch wie James Joyce, slowenisch wie Boris Pahor, der sein Leben in Triest verbrachte, oder deutsch wie Rainer Maria Rilke, der im benachbarten Duino mit dem Schreiben seiner Duineser Elegien begann.

In den verschiedenen Teilen des Museums stehen Schautafeln mit Texten. Auf Bildschirmen schalten sich kleine Videodokumente ein, wenn jemand sich nähert. Wirklich grossartig ist, dass die literarischen Werke, von denen auf den Schautafeln die Rede ist, auch gleich darunter in Regalen stehen, dass man die Bücher anfassen kann, darin blättern kann, dass man darin lesen kann, dass man sich an die Tische setzen kann, die in den Räumen stehen. Ausserdem ist der Eintritt gratis. Das Museum verdient ein grosses Lob. Ich hoffe, dass da nichts kaputtgeht. Um weltweite Nachahmung wird gebeten.

Am Abend haben wir für ein gemeinsames Abendessen Plätze reserviert an einem Ort, der uns während unseres Aufenthalts gefallen hat. Der Name Ego tönt zwar etwas egoistisch, aber die Küche ist kreativ, wir haben gut gegessen und getrunken.  

Am Tag unserer Rückreise finden auf der direkten Bahnlinie zwischen Triest und Venezia Mestre Bauarbeiten statt. Unsere Frecciarossa-Zugskomposition fährt deswegen durch das malerische, aber an diesem Tag regnerische Friaul über Gorizia, Udine, Treviso nach Mestre und von dort weiter nach Verona und Mailand.

In Mailand haben wir Zeit für Kaffee und neapolitanische sfogliatelle, wir verabschieden uns, teilen uns auf. Einige von uns fahren via Simplon und Lötschberg, die anderen durch den Monte Ceneri und den Gotthard.

Das Thema Imperium hat uns und mich auf dieser Reise beschäftigt. Wann ist das Imperium auf die abschüssige Bahn geraten? Wer hätte es retten können? Erzherzog Rudolf, der einzige Sohn von Franz Josef und Kaiserin Elisabeth, der 1889 mit einunddreissig Jahren Selbstmord beging? Er war wissenschaftlich und kulturell interessiert, lebte zeitweise in Prag, zeigte sich antiklerikal und aufgeschlossen gegenüber der sozialen Frage und regte die Schaffung einer landeskundlichen Enzyklopädie in 24 Bänden über die Monarchie an, die zwischen 1886 und 1902 erschien und von 432 Autoren geschrieben wurde. Oder war das Ende unausweichlich? Ich weiss es nicht. Die Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen.

Ich frage mich auch, ob es Parallelen gibt zwischen dem Ende des Imperiums 1918 und der heutigen Situation. Ich notiere hier einige Gedanken zu dieser Frage. 

Auf einer Karte des Frontverlaufs vom Sommer 1918 sieht die Position der Achsenächte komfortabel aus. Die kommende Niederlage lässt sich kaum vorausahnen. Mitte Oktober 1918 kündigt Kaiser Karl noch den Neuaufbau des Vaterlandes an in einer Botschaft An meine getreuen österreichischen Völker. Dann bricht das Reich auseinander. Der Neuaufbau findet getrennt statt und ohne Kaiser.

Eindrücklich sieht auch eine Weltkarte aus, auf der die Truppenstützpunkte des heute dominierenden Imperiums eingezeichnet sind. Auch ihr sieht man nicht an, dass die Zeit der Hegemonie abläuft. Lässt sich imperial overstrech erkennen, imperiale Überdehnung? Wie lange kann die Weltmacht sich diese Präsenz leisten, wenn gleichzeitig die Staatsschulden steigen und die  Lebensqualität der eigenen Bevölkerung messbar leidet? Im Land mit den höchsten Gesundheitskosten weltweit hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten zwölf Jahren verringert. Darauf kann keine Partei und niemand stolz sein. Der Koloss steht auf tönernen Füssen, um ein biblisches Bild zu verwenden. Aber er steht noch.

Wir haben während unserer Reise, mitverfolgt, wie der Staat Israel, der seit Jahrzehnten die Resolutionen der UNO zur Konfliktlösung missachtet, täglich mit den Waffen und der politischen Deckung dieser Weltmacht palästinensische und libanesische Zivilisten tötet und verletzt, wie er Hunderttausende aus ihren Häusern vertreibt, wie er in Gaza Spitäler und Schulen bombardiert und die Bevölkerung aushungert, wie er im Libanon UNO-Truppen angreift, wie er auch in Syrien und Iran, wie die Medien verharmlosend berichten, Ziele angreift, wie er den UNO-Generalsekretär als persona non grata bezeichnet und wie er Ende Oktober 2024 das UNO-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge verbietet, mit keinem anderen erkennbaren Plan als Zerstörung, Tod, Verwüstung, Vernichtung von Leben und von Lebensgrundlagen, ohne Aussicht auf irgendeine Verhandlungslösung, ohne einen Moment der Überlegung darüber, wie die Massaker sich auswirken auf die schwindende Zukunftsperspektive einer friedlichen Nachbarschaft im Nahen Osten.

Die Gewaltexzesse, die vielleicht bald durch einen Richterspruch als Genozid kategorisiert werden und welche die UNO-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese in ihrem letzten Bericht schon mit diesem Begriff bezeichnet, erschrecken. Die militärische Übermacht scheint erdrückend. Die europäischen Eliten runzeln verlegen die Stirn und drücken ihre Besorgnis aus. Aber aufzumucken wagen sie nicht. Wo ist die Diskussion über Sanktionen? Eben noch haben diese europäischen Eliten eilig und folgsam Sanktionen verhängt und ausgeweitet, um Freiheit, Demokratie, Völkerrecht und Menschenrechte in einem anderen Kontext zu verteidigen, ohne Rücksicht auf die Energieversorgung der Bevölkerung und die Energiepreise für ihre Industrie, ohne allzu viele Gedanken über die Kriegsursachen und mögliche friedliche Konfliktlösungen. Aber wenn es um Israel geht, ist das Völkerrecht kein Thema mehr. Dann kommt aus Europa nur das gut eingeübte Bekenntnis zum Recht Israels auf Selbstverteidigung, ohne Erläuterung darüber, ob die Palästinenser dieses Recht auch haben und falls ja, wie sie davon Gebrauch machen sollen. Israel, historisch gesehen das letzte britische Kolonialprojekt, wird voraussichtlich weiterhin in Europa Fussball spielen und an der Eurovision singen.

Was bewirken die Massaker? Bringen die militärischen Erfolge mehr Sicherheit? Der asymmetrische Krieg in Afghanistan endete mit einer Niederlage des Westens. Und nach über einem Jahr Krieg gegen ein eingeschlossenes Volk kann (oder will) Israel noch keinen Endsieg gegen den palästinensischen Widerstand feiern.  

In dieser heutigen Situation, und trotz aller ihrer Widersprüche und Feindschaften, beginnt die nicht-westliche Welt, sich zu organisieren für die Zeit danach.

Was kam 1918 nach dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie? In Österreich Demokratie, Austrofaschismus, Nationalsozialismus, Krieg, Besetzung, Neutralität und erneute Selbständigkeit, wieder Demokratie, Rechtssicherheit und die Ansiedlung von UNO-Organisationen. In Jugoslawien der Wiederaufbau, ein Aufstieg zu einem führenden Land der blockfreien Bewegung, der Beginn einer jugoslawischen Identität, die in der Spätphase auch als Angabe in den Volkszählungen erlaubt wurde, und dann zum Schluss die gewaltsame Aufspaltung nach Ethnien und neue Kriege.

Die Abspaltung von Gruppen, die neue Nationalstaaten gründen, war das klassische Rezept der Konfliktlösung der letzten hundert Jahre. Die Doppelmonarchie war in der Propaganda ihrer Gegner ein Völkergefängnis.

Der 14-Punkte-Plan von US-Präsident Woodrow Wilson von Januar 1918 enthielt das Konzept des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Auch die UNO-Charta von 1945 enthält den Punkt in ihrem ersten Artikel. Gleichzeitig bekräftigt die UNO-Charta den Respekt für die territoriale Integrität der Mitgliedstaaten. Dabei bleibt unklar, welches Prinzip mehr Gewicht hat. Das wird dann zum Problem, wenn eine Gruppe innerhalb eines Staates sich als Volk definiert und für sich das Recht in Anspruch nimmt, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Die Haltung des sogenannten Westens zu solchen Abspaltungsprozessen war in der Regel unterschiedlich je nachdem, ob die Staaten oder die sich als Volk verstehenden Minderheiten als prowestlich oder antiwestlich galten. Die Abspaltung löst nicht alle Probleme, und in den neuen Staaten gibt es wieder Minderheiten, die vielleicht mit dem alten Imperium verbandelt waren. Aber wer will denn Probleme lösen? Der militärisch-industrielle Komplex und seine Aktionäre haben andere Interessen.

Der Zusammenbruch eines Imperiums kann für kosmopolitisch orientierte Menschen schwer zu ertragen sein. Joseph Roth trauerte dem Imperium nach, obwohl seine Haltung zu diesem nie unkritisch war. James Joyce, der vor dem Krieg in Triest gelebt hatte, hielt es im monoethnischen Triest 1919 nicht lange aus. 

Auch der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches hat nicht zu paradiesischen Zuständen geführt, weder auf dem Balkan noch im Nahen Osten.

Viele, die sich zur westlichen Elite zählen, haben die Augen vor der Tatsache verschlossen, dass das Imperium seinen Zenit überschritten hat. Donald Trump, trotz seiner umstrittenen Persönlichkeit gerade wieder als Präsident der Vereinigten Staaten gewählt, scheint diesen Punkt hingegen klar erkannt zu haben, und zwar schon in seinem ersten Wahlkampf 2016. Sein Slogan America first bringt zum Ausdruck, dass Amerika es sich nicht mehr leisten kann und will, überall auf der Welt Krieg zu führen wie bisher. Er drückt eine Geisteshaltung aus, die in der USA als non-interventionism bekannt ist, und die sich für Europa nicht zwangsweise negativ auswirken muss. Ist es denn so schlimm, wenn die europäischen Staaten erwachsen werden und selbstverantwortlich handeln?

Eine Niederlage von Trump hätte vermutlich die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine ohne Zögern und ohne Denkpause für mehrere Jahre bedeutet, mit Zehntausenden von jungen Männern, die dabei in unserer europäischen Nachbarschaft gestorben wären, und mit Zehntausenden von Kriegsverletzten. 

Es hat der Kandidat gesiegt, der seine Verachtung für die Eliten wie kein anderer unmissverständlich zur Schau gestellt hat. Offenbar fanden die Wählerinnen und Wähler es nicht schwierig, diese Verachtung nachzuvollziehen. Der Kandidat hat auch versprochen, dass in der Ukraine der Frieden innerhalb von 24 Stunden ausbricht. Das dürfte leicht übertrieben sein. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass Trump sich zurückhalten wird mit militärischen Engagements, wie es so schön heisst, wenn es um Krieg geht. Aber Trump hat zumindest formuliert, dass er mit Russland einen Verhandlungsfrieden anstrebt. 

Längerfristig kann ich mir vorstellen, dass das Imperium sich schrittweise zurückziehen wird, nicht von einem Tag auf den andern. Für die Zeit danach gibt es keine Garantien, auch nicht für  befürchtete negative Szenarien. Mit dem Verzicht auf Allmachtphantasien und Dominotheorien könnte ein gewaltsames Ende des sogenannten Westens wohl vermieden werden. Der Niedergang oder, höflicher ausgedrückt, der Bedeutungsverlust des Imperiums muss auch nicht das Ende der Demokratie als Staatform bedeuten, wie suggeriert wird. Im Gegenteil. Voraussichtlich wird es in einer multipolaren Welt für die Mächtigen und ihre Hintermänner und Hinterfrauen schwieriger sein zu kontrollieren, was als Information verbreitet wird und welche Meinung geäussert werden darf. Es wird zu Veränderungen kommen. Es bleibt spannend.

Das nächste Imperium, mit dem wir uns im Rahmen einer Reise befassen werden, ist das spanische Weltreich. Auch dieses Imperium wurde während seiner Blütezeit von einer Dynastie regiert, die aus dem Aargau stammt.

Die Doppelmonarchie bleibt für uns auch ein Thema. Für das Jahr 2026 überlegen wir uns eine Reise nach Transleithanien, also in die Gebiete, die zwischen 1867 und dem Ersten Weltkrieg zum ungarischen Reichsteil gehörten. Auch eine Reise in die nördlichen österreichischen Kronländer von Böhmen und Mähren bis nach Galizien und in die Bukowina würden wir gerne mal organisieren.

Ostrom und das Osmanische Reich faszinieren uns ebenfalls, und die Türkei ist uns nicht unbekannt. Gerne planen wir eine Reise auf dem Landweg durch den Balkan nach Konstantinopel, falls Interessierte sich bei uns melden

Und auch das britische Weltreich und das Zarenreich verdienen mal eine eingehende Betrachtung, zwei Imperien, die in Zentralasien und anderswo ihr geopolitisches Strategiespiel spielten, das als The Great Game bekannt ist.

Normandie, 4. – 15. September 2024

Was ist besonders an der Normandie? Was macht den Reiz dieser Region aus?

Sind es die mächtigen romanischen Abteikirchen von Caen, die gewaltigen gotischen Kathedralen in Rouen, Bayeux und Coutances, die falaises, diese bis zu hundert Meter hohen, senkrecht aufragenden, hellen Kreidefelsen mit ihren Bändern aus grossen, dunklen Kieselsteinen? Sind es die berühmten Schriftsteller, die hier gelebt haben? Ist es der fast tausendjährige Teppich von Bayeux, oder die Moderne in Le Havre, oder das Meer mit seinen extremen Gezeiten, oder le bocage, die kleinräumige, durch Hecken gegliederte Hügellandschaft mit ihren Feldern und Wiesen? Sind es die guten Restaurants, in denen wir oft le poisson du jour, den frisch gefangenen Fisch, essen und dazu cidre brut trinken, sind es die freundlichen und im Vergleich zum hektischen Paris eher entspannt wirkenden Menschen? Oder sind es die Häuser aus grau-schwarz gesprenkeltem Granitgestein in den Dorfzentren, durch die unser Bus zwischen Granville und Mont-Saint-Michel fährt? Oder ist es der Berg selbst, der dem Erzengel geweiht ist, oder der weite Himmel, der sich über die Normandie wölbt und Sonne und Regen bringt? 

Wir treffen unsere kleine Gruppe am Morgen des 4. Septembers im Bahnhof Basel, im TGV Lyria nach Paris. Einige Mitreisende kenne ich von früheren Reisen.

Der Zug fährt nicht wie erwartet über Dijon, sondern über Strassburg, trotzdem kommt er im Pariser Gare de Lyon an, und zwar pünktlich. Mit der Metrolinie 14 fahren wir zum Bahnhof Saint-Lazare. Wir sind an diesem Mittwoch alle früh aufgestanden und sind mittags hungrig. Weil wir rechtzeitig auftauchen, finden wir im Restaurant Lazare auch noch spontan freie Sitzplätze an der Theke für ein überraschend gutes Mittagessen.

Den Zug nach Rouen, in die Hauptstadt der Normandie, haben wir so gewählt, dass wir genügend Zeit haben für das Umsteigen in Paris und für eine Zwischenverpflegung. So kommen wir in Rouen um 15 Uhr an, also gerade zum Check-in im Hotel, das wir nach einem viertelstündigen Fussmarsch abwärts vom Bahnhof Rouen Rive Droite erreichen. Das Bild zeigt die Uhrzeit am 1928 eingeweihten Bahnhof bei  unserer Abreise.

Unser Hotel ist ein historisches Gebäude mit einem charmanten Innenhof. Es liegt gleich neben der Kathedrale und heisst auch entsprechend.

Rouen, am Unterlauf der Seine gelegen, ist die historische Hauptstadt der Normannen, die im 11. Jahrhundert England eroberten. Die Stadt wuchs und entwickelte sich. Im 17. und 18. Jahrhundert war Rouen die zweitgrösste Stadt des Königsreichs Frankreichs. Daraus erklären sich wohl die Ausmasse der hiesigen Kirchen. Heute leben 114,000 Personen in Rouen, mit der Agglomeration sind es 475,000.

Wir lernen auf einem ersten Spaziergang die Stadt kennen. Die Gassen in der Altstadt und um die Altstadt sind belebt.

Wir besuchen die gotische Kirche Saint-Maclou gleich nebenan und die spätgotische ehemalige Klosterkirche Saint-Ouen (Bild), ein eindrückliches, 134 Meter langes Bauwerk, und das Musée Le Secq des Tournelles in der ehemaligen Kirche Saint-Laurent mit seiner einmaligen Sammlung von jahrhundertealten Eisenobjekten aller Art.

Wir gehen auch an der Fassade der Kathedrale vorbei, die zusätzliche Bekanntheit erlangt hat dank einer Bilderserie des Impressionisten Edouard Monet aus den Jahren 1892 bis 1894, und gelangen zu einer der Brücken über die Seine. Ich erinnere daran, dass der Schweizer Journalist und Schriftsteller Niklaus Meienberg zwar nicht hier begraben ist, aber doch in seinem Testament verfügte, dass seine Asche am Oberlauf in der Seine verstreut werde.

Am Abend geniessen wir ein gemeinsames Abendessen im Café Hamlet am Rande des Aître Saint-Maclou, eines beschaulichen, aber bei näherer Betrachtung etwas makabren Innenhofs, der im 16. Jahrhundert als Massengrab für die Opfer der Pest diente.

Am nächsten Morgen regnet es. Es ist ein Regen, der das Ende des Sommers markiert.

Nach dem Frühstück haben wir den Besuch der Kathedrale auf unserem Programm. Sie wurde im 12. Jahrhundert erbaut, sie brannte im Jahr 1200, die Säulen blieben stehen, im 13. Jahrhundert wurde sie wieder aufgebaut, im 15. und im 16. Jahrhundert verschönert, 1940 und vor allem 1944 schwer beschädigt. Die Glasfenster hatte man vorsorglich entfernt, sie sind erhalten, einige stammen aus dem 13. Jahrhundert. Der unterste Teil des abgebildeten Glasfensters wurde von den Fischern der Stadt gestiftet. Die Bildergeschichten, die auf den mittelalterlichen Fenstern dargestellt sind, lesen sich jeweils von unten nach oben.

Auch bei Regenwetter kommt viel Licht in den hohen Kirchenbau. Bei starkem Regen tropft es vom Dach. Am höchsten erhebt sich der Bau über der Vierung, wo Haupt- und Querschnitt sich überschneiden, dort befindet sich die Decke 51 Meter über dem Boden. Darüber wurde 1876 die bis heute höchste Kirchturmspitze Frankreichs gebaut, 151 Meter ragt sie in die Höhe.

Es gibt in der Kathedrale künstlerisch bedeutende Grabmäler, vor allem in der abgeschlossenen Chapelle de la Vierge, es gibt aber auch dynastisch bedeutsame wie dasjenige für den Normannenführer Rollo (ca. 846 – ca. 931), der sich im Jahr 911 nach der Belagerung von Chartres zum Christentum bekehrte, Frieden schloss mit dem fränkischen König Charles und von diesem die Normandie als Lehen erhielt. Auch das Grabmal für Rollos Sohn Guillaume Longue-Épée ist im Chorumgang zu sehen, und die Grabmäler für die beiden Brüder Henri le Jeune bzw. The Young King (1155-1183) und Richard Löwenherz (1157-1199).

Als wir die Kathedrale verlassen, regnet es stärker als zuvor. Wir retten uns für ein leichtes Mittagessen in die beliebte Crêperie namens Tarte Tatin, wo wir gute und preiswerte galettes essen, eine Art Crêpe aus Buchweizenmehl, farine de sarrasin, manchmal wird dafür auch die Bezeichnung blé noir verwendet – es handelt sich da aber nicht um dunklen Weizen. Die Spezialität stammt aus der Bretagne, heute isst man sie überall in Frankreich. Den Buchweizen, das Korn der Sarazenen, biologisch nicht als Getreide klassifiziert, entdeckten die Kreuzfahrer im Nahen Osten.

Am Nachmittag besuchen wir als erstes die Kirche Sainte-Jeanne-d’Arc auf dem Marktplatz. Die 1979 eingeweihte Kirche in Form eines umgekehrten Normannenschiffs (Drakkar) des Architekten Louis Arretche (1905-1991) ersetzt die 1944 bei Bombenangriffen zerstörte gotische Kirche Saint Vincent, integriert aber die vom Vorgängerbau geretteten Glasmalereien aus der Zeit der Renaissance in gelungener Weise.

Die spätmittelalterliche Geschichte um Jeanne d’Arc tönt unglaublich, wie eine Legende. Sie ist aber in zeitgenössischen Dokumenten gut belegt. Als Vorbereitung haben wir uns die Publikationen Georges & Andrée Duby: Les procès de Jeanne d’Arc von 1973 und Jacques Trémolet de Villers: Jeanne d’Arc. Le procès de Rouen von 2017 besorgt.

Um die Geschichte zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Karte von Frankreich 1429. Das Königreich England und das Herzogtum Burgund haben im Vertrag von Troyes 1420 die Verhältnisse in Frankreich geregelt. In Paris, in der Nordhälfte Frankreichs und im mächtigen Herzogtum Burgund anerkennt man deswegen den 1421 geborenen künftigen englischen König Henri VI auch als König von Frankreich. Anders in den zentralen Landesteilen um Bourges und Chinon sowie im Südosten, dort herrschen die Anhänger des aus Paris entführten dauphin und zukünftigen Charles VII, den diese als Sohn und legitimen Nachfolger des 1422 verstorbenen Charles VI le Fou betrachten. Es gibt zudem isolierte Garnisonen ausserhalb dieses Gebiets, die zum Dauphin halten, beispielsweise auf der Festung Mont-Saint-Michel oder im Städtchen Vaucouleurs in Lothringen, an der Grenze zum Heiligen Römischen Reich.

In dieser Situation hat die 17-jährige Tochter eines armen Bauern aus dem Dorf Domrémy, 20 km südlich von Vaucouleurs, Visionen und hört Stimmen, die ihr sagen, ihre Mission sei es, Frankreich zu retten. Die Stimmen sind laut ihren späteren Angaben die Stimmen der Heiligen Katharina, der Heiligen Magdalena und des Erzengels Michael.

Auf Druck der Bevölkerung, und weil sie Ereignisse voraussagt, die auch eintreffen, stellt man ihr in Vaucouleurs eine Eskorte zur Verfügung, damit sie den Dauphin in Chinon treffen und ihm ihre Dienste anbieten kann. Dort wird sie von Frauen aus der Verwandtschaft des Dauphins und von Theologen überprüft, um sicherzustellen, dass sie keine Schwindlerin ist. Man bestätigt, dass Jeanne demütig, jungfräulich, fromm, ehrlich und einfach ist.

Man überträgt ihr eine Aufgabe, nämlich Versorgungsgüter in die belagerte Stadt Orléans zu bringen. Mit ihrem Enthusiasmus motiviert sie die Soldaten des Dauphins. Diese brechen in der Nacht des 7. auf den 8. Mai 1429 den Belagerungsring auf. In Orléans wird das Ereignis bis heute gefeiert. Jeanne wird als Jungfrau von Orléans bekannt.

Jeanne überzeugt Charles auch, sich in Reims krönen zu lassen, wie es für französische Könige üblich ist. Diese Krönung, die nur mit einem Feldzug durch feindliches Gebiet möglich ist, gelingt ebenfalls.

In der Folge sind die Unternehmungen der Jungfrau, die jeweils in Männerkleidung, unbewaffnet, aber reitend und mit ihrer Standarte vorwärtsstürmt, weniger erfolgreich. Der Angriff auf Paris misslingt. Schliesslich wird Jeanne im Mai 1430 bei Compiègne von den Burgundern gefangengenommen und den Engländern für den sehr hohen Preis von 10,000 livres tournois verkauft.

In Rouen findet darauf unter der Leitung von Pierre Cauchon, Bischof von Beauvais und zeitweilig Rektor der Universität Paris, ein kirchenrechtlicher Prozess gegen Jeanne d’Arc statt. Die öffentlichen Verhöre beginnen im Februar 1431. Jeanne d’Arc verteidigt sich selbst. Die Antworten der jungen Analphabetin sind so überzeugend, dass die Verhöre nach dem 3. März nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt werden. Die Ankläger versuchen, Jeanne Hexerei, magische Praktiken und ketzerische Ansichten nachzuweisen. Das gelingt ihnen allerdings nur schlecht. Jeanne glaubt, dass die Stimmen, die sie gehört hat, von Gott sind, die Ankläger glauben es nicht. Jeanne leidet während dem Prozess unter schlimmen Haftbedingungen. Englische Wächter sind mit ihr in der Zelle.

Die Prozessakten dokumentieren die Sicht der Anklage. Wer sie heute liest, ist aber vor allem beeindruckt von der Integrität, dem tapferen Selbstbewusstsein und der schlagfertigen Klugheit der jungen Angeklagten und betroffen von der hinterhältigen, blutrünstigen Bosheit der Ankläger.

Hasst Gott die Engländer? lautet eine der Fangfragen an sie. Ihre Antwort: Über die Liebe oder den Hass Gottes gegenüber den Engländern weiss ich nichts, ebenso wenig darüber, was Gott mit ihren Seelen machen wird. Aber ich weiss, dass sie aus Frankreich vertrieben werden mit Ausnahme derer, die hier sterben, und dass Gott den Franzosen den Sieg gegen die Engländer geben wird.

Trotz ihrer Visionen erscheint Jeanne keineswegs als Übermensch, und angesichts der drohenden Todesstrafe widerruft sie auch kurzfristig alle ihre Aussagen. Sie wird darauf zu lebenslanger Haft begnadigt, aber wieder mit ihren Wächtern eingesperrt, die versuchen, sie zu vergewaltigen. Aus praktischen Gründen zieht sie darauf wieder ihre Männerkleider an, die man ihr wohl nicht zufällig in einem Bündel in der Zelle gelassen hat. Dies wird ihr dann als Rückfall in die Häresie ausgelegt. So erreichen die Ankläger, dass Jeanne auf dem Marktplatz von Rouen am 30. Mai 1431 verbrannt wird. Bischof Cauchon setzt seine Karriere als Bischof von Lisieux fort und stirbt 1442 an einem Hirnschlag.

Nachdem sich die militärische Lage – wie von Jeanne vorhergesehen – zu Ungunsten der Engländer entwickelt hat, wird Jeanne d’Arc 1456 in einem zweiten Prozess rehabilitiert.

Wie hat Charles VII geherrscht? Hat sich der Einsatz von Jeanne d’Arc gelohnt? Hat das Gute gesiegt?

Der König hat sich offenbar nie um die Freilassung der prominenten Gefangenen bemüht. In der Schweiz bleibt der König in Erinnerung, weil er seinen Sohn, den späteren König Louis XI, als Anführer der für ihre Brutalität bekannten Söldnerstreitmacht der Armagnaken gegen die Eidgenossen losschickte. Ihr begegneten die Eidgenossen 1444 bei Sankt Jakob an der Birs freudvoll zum Streit, wie es im Schweizerpsalm von 1811 heisst.

Der patriotische Kult um Jeanne d’Arc verbreitet sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine erste Reiterstatue stellt die Stadt Orléans 1855 auf. Die 1431 verbrannte und 1456 rehabilitierte Jeanne wird 1909 seliggesprochen und 1920 heiliggesprochen. Bei den Prozessen und Prozeduren geht es vordergründig um Religion. Bei den Beratungen spielen aber politische Verhältnisse und Überlegungen immer eine Rolle.

Gleich neben dem Marktplatz befindet sich das Haus von Pierre Corneille (1604-1684), der zu den erfolgreichen Theaterautoren der französischen Klassik gehört. Das kleine Museum präsentiert das Leben des Autors, der mit seinem Stück über den mittelalterlichen spanischen Helden Le Cid bekannt wurde. Ein Modell zeigt den Zustand des alten Marktplatzes von Rouen. Am Marktplatz befindet sich übrigens auch das älteste erhaltene Gasthaus Frankreichs.

Etwas ausserhalb der Altstadt steht das alte Spital, das Hôtel-Dieu, wo Gustave Flaubert 1821 als Sohn Arztes und Chirurgen Achille Cléophas Flaubert geboren wurde und wo er seine Kindheit erlebte. Das Museum in der ehemaligen Arztwohnung ist einerseits dem Schriftsteller gewidmet, andererseits der Medizingeschichte.

Eine prächtige Marmorbüste überragt den Eingangsraum. Der Herrscher über die französische Sprache mit seinem üppigen Schnurrbart begrüsst die Gäste selbstbewusst und etwas süffisant. Wirkte er so? Wir wollen es nicht bestreiten. Flaubert war aber auch ein kranker Mensch, er litt an Anfällen, vermutlich an Epilepsie, später auch an Syphilis.

Als Kind schon führte Flaubert Theater auf. Er spielte den konformen Bürger und brachte damit seine treuste Zuhörerin, seine Schwester, zum Lachen. Das Lachen der Schwester hörte auf, als sie jung verheiratet an ihrer ersten Geburt starb.

Der junge Flaubert musste, so hatte es sein Vater bestimmt, Jurist werden. Er begann in Paris ein Studium, mühte sich ab, hatte vielseitige Interessen, aber das Studium war ihm zuwider. Als sein Vater Zeuge seines ersten Anfalles wurde, durfte er sein Studium aufgeben, ohne offen gegen seinen Vater zu rebellieren, und erlangte die Freiheit, sich seiner Leidenschaft, dem Schreiben, zu widmen. im Dorf Croisset an der Seine etwas unterhalb der Stadt lebte und schrieb Flaubert 35 Jahre lang. Das Haus steht nicht mehr, es ist dort nur ein Gartenpavillon erhalten.

Auf dem Rückweg zum Hotel besuchen wir noch den Uhrturm, le Gros Horloge mit einem der ältesten Uhrwerke Europas. Vom Turm aus geniessen wir eine gute Sicht über die Stadt und auf die Westfassade der Kathedrale.

Am nächsten Morgen haben wir den Besuch des Kunstmuseums vorgesehen. Wer von den Sammlungen in Zürich oder Basel verwöhnt ist, findet dieses Museum vielleicht mittelmässig, wir finden aber, dass es sich doch lohnt. Man entdeckt Werke von Perugino, della Robbia, Caravaggio, Velázquez, Ingres, Géricault, Corot, Manet, Pissarro, um nur die mir bekannten zu nennen. Hier abgebildet ein Detail, die Kathedrale von Rouen, aus dem grossen, dreiteiligen Bild von Raoul Dufy Le Cours de la Seine im Innenhof des Museums.

Nach dem Mittagessen fahren wir mit dem Bus zum Bahnhof – Fahrkarten gibt’s an den Tramhaltestellen. Wir nehmen bei sonnigem Wetter den Zug nach Le Havre, wo wir um 15 Uhr ankommen, wo wir die Glasfenster des Bahnhofs beachten, die an die Kirche Saint-Joseph erinnern, und wo wir gleich nebenan in einem sehr modernen Hotel unsere Zimmer beziehen. Dann machen wir uns zu Fuss auf ins Stadtzentrum.

Grosse Teile des Zentrums waren nach den Bombenangriffen der Alliierten 1944 so verwüstet, dass für das nationale Wiederaufbauprogramm in der Hafenstadt nur ein architektonischer Neubeginn sinnvoll war. Chefarchitekt und Stadtplaner in Le Havre war Auguste Perret (1874-1954). Gegründet wurde Le Havre de Grâce 1517 durch François Ier, König von Frankreich (und Gegner der Eidgenossen in den Mailänderkriegen). Heute ist Le Havre mit 166,000 Einwohnern die grösste Stadt der Normandie.

Wir haben im Vorverkauf Tickets für eine geführte Besichtigung der Musterwohnung, des appartement témoin gekauft. Perret, der den rohen Beton als Baumaterial verwendete, liess die Trümmer der Stadt nach Farbschattierungen sortieren und schaffte es so, Beton mit verschiedenen Tönungen herzustellen. Die Wohnungen wurden zwar in verschiedenen Grössen erstellt, je nach dem Wohnraum, den die früheren Bewohner verloren hatten. Gleichzeitig erfolgte der Wiederaufbau der ganzen Stadt mit vorgefertigten Elementen, die jeweils 6,24 m lang waren. Der Ausbaustandard der Wohnungen bot modernen Komfort, die Inneneinrichtung war zweckmässig, dabei wurde rasch, sorgfältig und preiswert gebaut. Die Wohnungen der 1950-er Jahre, inzwischen wie das ganze Zentrum UNESCO-Weltkulturgut, seien nach wie vor begehrt.

Von Auguste Perret stammt auch die Église Saint-Joseph, die von weitem an einen Wolkenkratzer in New York erinnert, was wohl kein Zufall ist – in den 1950-er Jahren fuhren die Franzosen noch mit dem Schiff von Le Havre nach New York (das Bild zeigt im Vordergrund den Teil eines ehemaligen Hafenbeckens und das Kulturhaus Le Volcan von Oscar Niemeyer). 12,768 quadratische Glasscheiben in Farben, die sich je nach Himmelsrichtung und Höhe unterscheiden, schaffen im Inneren eine besondere Atmosphäre.

Unmittelbar nach unserem Besuch beginnt in der Kirche eine Gedenkveranstaltung. Vor 80 Jahren, am 6. September 1944, wurde die Stadt durch Bomben eingeebnet, und 2000 Zivilisten wurden dabei getötet.

Wir wollen aber weiter. In einer Hafenstadt möchten wir das Meer sehen. Wir gehen zu Fuss bis zur Porte Océan. Von dort blicken wir auf die Hafenausfahrt. Bald ist es Zeit für ein Abendessen. Zufällig entdecken wir das Restaurant La Sirène, ein Ort, in dem wir uns um Jahrzehnte zurückversetzt fühlen, und wo wir ausgezeichneten Fisch essen. Zurück zum Bahnhof und zu unserem Hotel fahren wir mit der Strassenbahn.

Nach einem Morgenspaziergang über den Fischmarkt steigen wir am Vormittag des nächsten Tages in den Schienenbus nach Fécamp. Auf der Strasse, die vom Bahnhof zur ehemaligen Abbatiale de la Trinité führt, findet am Samstagmorgen ein lebhafter Markt statt.

Die Kleinstadt hat eine grosse Geschichte. Die Abteikirche des im 7. Jahrhundert gegründeten Frauenklosters wurde im 12. und 13. Jh. neu gebaut, sie war zeitweise Begräbniskirche der Normannenherzöge und rivalisiert mit ihrer Länge von 127 Metern mit Notre-Dame de Paris (130 Meter). Mit dem Marmoraltar, einer Bestellung von 1507 in Italien, beginnt in der Normandie die Renaissance. Auch die Abschrankungen der Seitenkapellen des Chors sind Werke der Renaissance.

Fécamp war lange ein wichtiger Ausgangspunkt für den Fang von Stockfisch vor der Küste Nordamerikas. Durch die rücksichtslose Überfischung gingen die Bestände aber in den 1960-er Jahren zurück, und die moderne Fischfabrik am Hafen musste geschlossen werden. In ihr befindet sich heute das sehenswerte Musée des Pêcheries über die besondere Fischereitradition des Ortes und eine beachtliche Kunstsammlung.

Anders als das nahe Étretat ist Fécamp kein Ort des overtourism. Ich schätze an der Stadt den Charme des etwas schläfrigen früheren Industriestandorts. Produziert wird in Fécamp weiterhin der Kräuterliqueur Bénédictine, und zwar in einem fantastischen Fabrikpalast aus dem 19. Jahrhundert, den man ebenfalls besichtigen könnte.

Faszinierend ist in Fécamp auch die Natur. Der Strand im Südwesten der Stadt ist frei zugänglich. Ganz weit am Horizont erkennt man die berühmten Felsen von Étretat. Bei Ebbe kann man den eindrücklichen falaises entlang spazieren. Natürlich empfiehlt es sich, den nötigen Abstand von den bis zu hundert Meter hohen Kreidefelsen zu halten. Je nach Wetter bröckeln Stücke der Wand ab, die mich faszinieren – weisse Kreide, die man direkt verwenden kann, um auf einer dunklen Oberfläche zu schreiben. Leider beginnt es bei unserem Besuch zu regnen, so dass wir in ein Standcafé fliehen.

Den Sonntagvormittag verbringen wir im MuMa, im Musée d’Art moderne André Malraux in Le Havre, einem modernen Gebäude, das 1961 gleich neben der Hafenausfahrt eröffnet wurde. Beachtlich in der Sammlung ist vor allem der Nachlass des Malers Eugène Boudin (1824-1898), der als Vorläufer der Impressionisten gilt und mit vielen Impressionisten befreundet war. Weiter sind Maler wie Bonnard, Courbet, Degas, Gauguin, Manet, Monet, Pissarro, Renoir, Vallotton und Vuillard in der Sammlung vertreten. Die laufende Sonderausstellung über die Anfänge der Fotografie in der Normandie wurde auch von der Bevölkerung an diesem regnerischen Sonntagmorgen rege besucht. Im Bild der Ausschnitt einer Fotografie mit dem Titel Bâteaux quittant le port du Havre von Gustave le Gray (1824-1880), aufgenommen an einem Abend im Juni 1856 bei Gegenlicht.

Am Nachmittag fahren wir mit dem Zug von Le Havre mit Umsteigen in Rouen nach Caen (108,000). Caen war bis 2016 Hauptstadt der Basse-Normandie, die seither mit der Haute-Normandie die neue Grossregion Normandie bildet. Während in Rouen der Sitz der Regionalregierung ist, ist in Caen der Sitz des Regionalparlaments. Wir fahren mit der Strassenbahn ins Stadtzentrum, wo wir die nächsten drei Nächte verbringen.

Am Montagmorgen sind die meisten Museen in Frankreich geschlossen. Eine Ausnahme macht Bayeux, wo wir nach einer viertelstündigen Zugfahrt ankommen.

Am Vortag schon haben wir uns thematisch mit dem Teppich von Bayeux auseinandergesetzt. Um bei der Betrachtung die Geschichte zu verstehen, die der Teppich darstellt, und um die vielen aussagekräftigen Details zu zeigen, die man leicht übersieht, haben wir das gut dokumentierte Buch von Pierre Bouet und François Neveux mit dem Titel La Tapisserie de Bayeux. Révélations et mystères d’une broderie du Moyen Age mitgeschleppt.

Der fast tausendjährige Teppich, UNESCO-Weltkulturgut, ist eigentlich kein Teppich, sondern eine Wollstickerei auf einem 68 Meter langen Leinengewebe, das lange in der Kathedrale von Bayeux hing. Er erzählt in Bildern und mit einem parallel laufenden lateinischen Text, wie es zum Krieg zwischen dem normannischen Herzog Wilhelm dem Eroberer und seinem Konkurrenten Harold kam und wie Wilhelm im Jahr 1066 in der Schlacht von Hastings siegte und König von England wurde.

Wilhelm der Eroberer, Guillaume le Conquérant, William the Conquerer (1027/28-1087) wurde auch William the Bastard genannt, weil er der Sohn einer Frau ist, mit der sein Vater, Herzog Robert I, nicht kirchlich verheiratet war. Die Normannenherzöge waren zwar Christen, aber führten ihr polygames wikingisches Brauchtum weiter und betrachteten alle ihre Kinder als legitime Nachfolger. 

Unter den Mitstreitern des Normannenherzogs war auch Odo, der Bischof von Bayeux, der in verschiedenen Situationen dargestellt wird und wahrscheinlich Auftraggeber der Stickerei war. Zu besichtigen ist der Teppich von Bayeux voraussichtlich noch bis August 2025. Dann ist eine Restaurierung fällig. Bayeux plant auch gleich einen neuen Museumsbau für die Attraktion.

Bayeux ist auch als Stadt sehenswert. Weil die deutschen Truppen sich kampflos aus ihr zurückzogen, blieben ihr die Kriegszerstörungen anderer Städte der Normandie erspart, und viele Fachwerkhäuser stehen bis heute. Am 14. Juni 1944 wandte sich General de Gaulle hier in Bayeux in einer Rede an die Bevölkerung. Der begeisterte Empfang, der ihm bereitet wurde, trug dazu bei, dazu, dass die Amerikaner de Gaulle die Verwaltung in den befreiten Gebieten anvertrauten und auf ihren Plan verzichteten, eine amerikanische Militärverwaltung einzusetzen. 

Auch das Musée d’Art et d’Histoire Baron Gérard in Bayeux ist am Montag geöffnet. Wir besuchen es nach unserem Mittagessen. Es befindet sich in der ehemaligen Residenz des Bischofs gleich neben der Kathedrale. Das Museum zeigt in chronologischer Ordnung viel Lokalgeschichtliches, archäologische Funde, Malereien, Schnitzereien, Landschaftsmodelle, die Werke der Spitzenklöpplerinnen sowie die Produkte der lokalen Porzellanherstellung. Auch ein Gerichtssaal, der von 1793 bis 1987 benutzt wurde, ist Teil der Ausstellung.    

In der Kathedrale, deren Schiff während der romanischen Epoche begonnen wurde, gefällt mir besonders die Krypta aus dem 11. Jahrhundert mit ihren romanischen Kapitellen und mit den Malereien musizierender Engel aus dem 15. Jahrhundert.

Im kleinen, süss-kitschigen und sympathischen Teehaus Les Volets Roses gegenüber der Kathedrale stärken wir uns, bevor wir mit dem Zug zurück nach Caen fahren. Zurück in Caen entdecken wir die gut erhaltene Altstadtgasse Rue de Vaugueux mit ihren Restaurants. Das Restaurant L’Avenue 21 ist auch am Montag geöffnet, und wir können es empfehlen.

Am nächsten Morgen wollen wir die Stadt Caen besser kennenlernen. Anders als Rouen und Bayeux ist Caen keine römische Stadt, sondern war nur eine kleine Siedlung, als Wilhelm der Eroberer um das Jahr 1060 auf dem ausgedehnten Hügel über der Stadt eine weitläufige Festung bauen lässt und zusammen mit seiner Frau ein Frauen- und später ein Männerkloster gründet.

Das Männerkloster Abbaye-aux-Hommes mit der Kirche Saint-Étienne sehen wir uns am Vormittag an. Der Baubeginn wird um 1066 angesetzt, im Jahr 1077 ist der Bau vollendet. Der Chor wurde im 13. Jahrhundert neu gebaut, sonst ist die Kirche im romanischen Stil erhalten. Die mächtige, schmucklose Westfassade mit den beiden Türmen wirkt streng. Mir gefällt das Kreuz, das sich hoch oben über dem Giebel erhebt und an ein keltisches Kreuz erinnert.

Die Grabplatte für den Bauherrn befindet sich zentral vor dem Altar. Es liegt dort aber vermutlich nur ein Oberschenkelknochen Wilhelms des Eroberers, und auch dies ist nicht sicher, denn die Hugenotten haben während den Religionskriegen das Grab des Normannenfürsten geschändet und seine Knochen verstreut.

Wir beschliessen, den Besuch des Schlosshügels auf den nächsten Tag zu verschieben, und fahren mit dem städtischen Bus dem Schifffahrtskanal entlang ans Meer, zum Hafen von Ouistreham, wo wir in einem der vielen Fischrestaurants einen Platz finden.

Von Ouistreham nach Portsmouth verkehren grosse Fährschiffe. Der für diesen Verkehr reservierte Teil des Hafens ist mit einem hohen, doppelten Zaun abgesperrt. Diesem Zaun entlang gelangen wir zu einem flachen Sandstrand, dem wir folgen. Braun-weisse Wellen überschlagen sich, weiter draussen wirkt das Meer grünlich, gegen den Horizont hin bläulich. Der Himmel ist grau, ein kühler Wind weht uns entgegen, leichter Nieselregen fällt. Hinter dem Sandstrand und den niedrigen Dünen stehen die charakteristischen Villen des 19. Jahrhunderts.

Zurück in Caen besuchen wir gegen Abend die Abbaye-aux-Dames mit ihrer Klosterkirche zu Ehren der Dreifaltigkeit. Das Kloster wurde um 1060 oder 1062 durch Mathilde von Flandern gegründet, der Frau Wilhelms des Eroberers, die während des Feldzugs ihres Mannes Regentin des Herzogtums war und 1068 zur Königin von England gekrönt wurde. Die gotischen Kreuzrippengewölbe der Kirche ersetzen eine frühere Holzdecke und stammen aus der Zeit um 1130. Mathildes Grab wurde auch zerstört, erhalten ist aber im Chor der Kirche die ursprüngliche Grabplatte, geschützt unter einer dicken Glasscheibe, mit einem Text über die Tugenden der Königin.

Gebaut sind die Kirchen und das Schloss von Caen aus einem hellen Kalkstein, der in Caen abgebaut wurde, als Baumaterial begehrt war und auch anderswo verwendet wurde, so für die Abtei von Fécamp, für die Kathedralen von Canterbury und Norwich, für den London Tower und den Uhrturm der Westminster Abbey (Big Ben) in London, für den Königspalast von Brüssel und so weiter.

Am nächsten Tag scheint die Sonne, der Regen ist weitergezogen zu den Alpen. Wir gehen an zwei sehenswerten Renaissancebauten (Hôtel d’Escoville, Église Saint-Pierre) vorbei und steigen hoch auf den Schlosshügel. Im Laufe des Vormittags besuchen wir das Kunstmuseum und das Musée de Normandie. Wegen archäologischen Grabungen und Renovationen ist ein grosser Teil des Schlosshügels abgesperrt. Wir geniessen trotzdem die Aussicht und betrachten von aussen den zivilen Versammlungsraum Salle de l’Échiquier aus dem 12. Jahrhundert.

Mit gefällt im Kunstmuseum das von Perugino 1501 bis 1504 gemalte Bild der Vermählung der Jungfrau, Raubkunst aus napoleonischer Zeit. Peruginos Schüler Raffaello Sanzio malte 1504 ein sehr ähnliches Bild, in dem er nach Ansicht der Kunsthistoriker seinen Meister erstmals übertraf. Es befindet  sich in der Pinacoteca di Brera in Mailand.

Im Musée de Normandie finden wir sehenswerte merowingische Fundstücke, Karten zur Ausbreitung der Normannen, Modelle, die die typischen Landschaften der Normandie zeigen, Informationen zur Wirtschaftsgeschichte, Krüge für cidre, Flaschen für Calvados und unzählige, vielfältige Sammlungsstücke mit einem Bezug zur Normandie, Bleibarren und Informationen zur Entwicklung und zum Niedergang der Metallurgie. Wer sich mit der Region auseinandersetzen will, sollte das Museum besuchen.

Zur Mittagszeit entdecken wir ein kleines Lokal mit persönlichem Service, das wir empfehlen können: L’Embroche. Zum Dessert gibt’s hausgemachten Rhabarberkuchen, aus Rhabarbern frisch vom Garten der Hausherrin. Darf man Rhabarber ab Juli noch verwenden? In Frankreich stellt sich die Frage offenbar nicht. Andere Länder, andere Sitten, vielleicht auch andere Rhabarber? Wir überleben das Essen ohne Beschwerden.

Nach dem Mittagessen bleibt uns noch Zeit für einen Spaziergang um das Hafenbecken. Dann holen wir im Hotel unser Gepäck und fahren mit der Strassenbahn zum Bahnhof, dann mit dem Zug gemütlich in knapp zwei Stunden durch die ländliche Normandie bis Granville, wo unser kleines Hotel gleich gegenüber dem Bahnhof liegt.

Granville ist eine etwas verschlafene Kleinstadt am Meer, die mit einer direkten Bahnlinie mit Paris verbunden ist. Mit seinem 1910 erbauten Casino am Meer hat Granville versucht, sich als Monaco des Nordens zu profilieren, wie wir auf alten Werbeplakaten im Hotel sehen. In der Crêperie La Bolée Normande nicht weit vom Hafen finden wir spontan Platz für ein Abendessen.

Am Donnerstag, den 12. September, ist ein Höhepunkt unserer Reise geplant, der Besuch des Mont-Saint-Michel am südwestlichen Rand der Normandie, an der Grenze zur Bretagne. Nach Paris handelt es sich um den meistbesuchten touristischen Ort in Frankreich. Wir besuchen ihn bewusst an einem Wochentag ausserhalb der Ferienzeit. 

Kann man den Mont-Saint-Michel mit dem öffentlichen Verkehr erreichen? Der Bus 308 von Granville verkehrt einmal täglich zwischen Mai und September, im Winter nur am Wochenende. Mit dem Fahrplan bleibt genügend Zeit für die Besichtigung. Der Fahrpreis ist auch für zwei Personen günstiger als die Parkgebühren beim Mont-Saint-Michel. Häufigere Busse fahren vom Bahnhof Pontorson. Direkte Busverbindungen gibt es auch von Rennes und von Saint-Malo.

Unsere Busfahrt dauert zwei Stunden. Die Fahrkarten kaufen wir im Bus. Der Bus ist komfortabel und ziemlich leer. Er fährt durch die alten Dorfzentren an der Küste. Manchmal bieten sich kurze Ausblicke auf die Bucht.

Unser Bus fährt zum modernen Informationszentrum, von dort verkehren navettes, Gratis-Busse – auch die Autos kommen nicht näher an den Berg. Dort gibt es Pläne des Mont-Saint-Michel, Toiletten und Eintrittskarten für die Abtei. In der Nähe, noch auf dem Festland, gibt’s mehrere Hotels sowie eine Bäckerei, in der man auch Kaffee kriegt.

Bei schönem Wetter lohnt es sich, in etwa 35 Minuten zu Fuss zu gehen und unterwegs auch das Wehr am Fluss Cauchon zu bestaunen.

Nachdem der Mont-Saint-Michel im Jahr 1879 durch einen Damm mit dem Festland verbunden wurde, verlor er zunehmend seinen ursprünglichen Charakter als markanter Granitberg in der sandigen Bucht. Im Jahr 2006 wurde der Damm, auf dem sich auch Parkplätze befanden, abgebaut und durch eine elegante Passerelle ersetzt, unter der Wasser und Sand zirkulieren kann, und die auf einem kurzen Teilstück bei starker Flut überflutet wird, so dass der Berg regelmässig wieder eine Insel wird.

Durch das Wehr am Fluss Cauchon und ein ausgeklügeltes Management des Flusswassers und der eindringenden Meeresflut wird versucht, der Verlandung der Umgebung des Berges entgegenzuwirken. Ist der Versuch erfolgreich? So sieht es auch.

Auf der Insel ist die Hauptgasse vom Stadttor zur Abtei eng, es kann auch mal ein Gedränge entstehen. 

Es gibt einen kleineren Weg nach oben, der zuerst auf die Westseite des Berges führt. Diesen Weg nehmen wir. Unterwegs finden wir einen Platz für eine Zwischenverpflegung. Die Restaurants können wir hier nicht empfehlen.

Beim Besuch der Abtei steigt man zuerst die Treppen hoch zur Abteikirche und zu einer Aussichtsterrasse, die durch den Abbruch des westlichsten Teils des Kirchenschiffs entstanden ist. Beim Abstieg führt der Besuchsparcours dann durch den Kreuzgang, das Refektorium, durch die Halle für hochrangige Gäste, durch eine Krypta mit grossen Pfeilern zur Stütze der darüber liegenden gotischen Apsis, zur Kapelle Saint-Étienne, zu einem grossen Rittersaal, zu den Kellergewölben, in denen die Buchhandlung untergebracht ist, und zum Ausgang. Während wir die Abtei besuchen, zieht ein starker Regen über den Berg. Als wir ins Freie treten, hört der Regen auf.

Auf dem Berg gibt es, nachdem die Insel lange als Gefängnis gedient hat, wieder eine Gruppe von Mönchen, die in der Abteikirche auch Gottesdienste abhalten. In der Abteikirche ist als Reliquie der Schädel des Bischofs Aubert von Avranches zu sehen, dem der Heilige Michael im Jahr 708 erschienen ist. Zweimal bat ihn der Erzengel umsonst, auf dem Mont-Tombe, wie der Berg damals hiess, ein Heiligtum zu errichten, so wird berichtet, und beim dritten Mal drückte er ihm zur Erinnerung ein Loch in den Schädel. Das Heiligtum, so forderte der Erzengel, solle nach dem Vorbild des Heiligtums auf dem Monte San Gargano in Apulien gebaut werden.

In der Pfarrkirche Saint-Pierre, die neben dem Zugangsweg zur Abtei steht, erklärt ein junger Geistlicher einer jugendlichen Zuhörerschar die Bedeutung des Erzengels.

Ich habe schon in der Reisebeschreibung darauf hingewiesen, dass der Erzengel Michael kein beliebiger Heiliger ist, und dass die Kerzen, auf denen Saint Michel priez pour nous steht, aus meiner Sicht unsinnig sind, weil es die christliche Vorstellungswelt trotz des monotheistischen Selbstverständnisses eine Hierarchie im Himmel kennt, und eine Rollenverteilung. 

Défendez-nous dans le combat, so beginnt das Gebet, das Papst Leo XIII, Papst von 1878 bis 1903, formuliert hat, oder in deutscher Sprache:  Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe gegen die Bosheit und die Nachstellungen des Teufels, sei unser Schutz. Und weiter: ‚Gott gebiete ihm‘, so bitten wir flehentlich.

Wenn wir so beten, so bitten wir also nicht den Heiligen Michael, bei Gott ein gutes Wort für uns einzulegen, sondern umgekehrt, wir bitten Gott, dass er Michael befiehlt, uns im Kampf beizustehen. Wenn es konkret wird, dann ist Gott also möglicherweise auf den Einsatz seines Erzengels angewiesen. Dieser wird ja auch nie betend dargestellt, sondern entweder kämpfend mit seinem Flammenschwert, oder die Seelen wägend, oder bei beiden Tätigkeiten gleichzeitig.

Und er trägt ja wohl nicht zufällig den ungewöhnlichen hebräischen Namen Wer ist wie Gott? Eine Frage, die sich bei anderen Engeln und Heiligen nicht stellt.

Das Gebet von Leo geht weiter und endet so: Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stoße den Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umherschleichen, um die Seelen zu verderben, durch die Kraft Gottes in die Hölle. Amen. Kein Raum für Kompromisse also mit diesem Erzengel.

Der Geistliche, der zu den Jugendlichen spricht, erklärt die Rolle des Erzengels. Die Menschheit habe ihren ersten spirituellen Kampf verloren, als sie das göttliche Verbot übertrat und vom Baum der Erkenntnis ass. Dieser verlorene Kampf habe dazu geführt, dass Adam und Eva vom Erzengel aus dem Paradies vertrieben worden seien. Der Geistliche spricht auch über die Rolle des Erzengels beim Jüngsten Gericht. Michael, so meint er, stehe am Anfang der Bibel und an ihrem Ende.

Viele bildliche Darstellungen zeigen, wie Adam und Eva von einem Engel aus dem Paradies vertrieben werden. Steht es so in der Bibel? Nein, so steht es nicht.

Wir fahren am Ende des Nachmittags mit dem Bus zurück nach Granville.

Am nächsten Tag erwartet uns eine weitere Busfahrt, diesmal eine kurze. Wir fahren, wieder bei sonnigem Wetter, nach Coutances.

Coutances ist die letzte grosse Kathedrale, die wir besuchen auf dieser Reise, die auch eine Fortsetzung ist der Reisen zu den gotischen Kathedralen in der Champagne und Picardie im August 2021 und in Bourges, Tours, Le Mans, Angers und Chartres im September 2022.

Die Kathedrale von Coutances gilt laut Guide Michelin wegen dem glücklichen Gleichgewicht ihrer Proportionen und der Reinheit ihrer Linien als berühmtestes Schmuckstück der Gotik in der Normandie (le plus fameux fleuron de l’art gothique en Normandie).

Vom Bahnhof, wo der Bus hält, führen steile Fusswege auf den Hügel, auf dessen höchstem Punkt sich die Kathedrale erhebt. Ist die Lage auf dem Hügel inspiriert von der Vorstellung des Himmlischen Jerusalems?

Unterwegs am Hang liegt die Kirche Saint-Pierre, die wir betreten, ein grosser, etwas verwahrloster, spätgotischer Bau aus dem 15. und 16. Jahrhundert, eine Kirche, die andernorts ausreichen würde für die spirituellen Bedürfnisse eines Städtchens, das heute 8500 Menschen zählt.

Wir gehen weiter zur Kathedrale. Der Bau begann um 1030, und 1056 wurde die Kathedrale im Beisein Wilhelms des Eroberers der Jungfrau Maria gewidmet. Chor, Querschiff und Vierungsturm wurden im 13. Jahrhundert gotisch neu gebaut. Im Kirchenschiff aber ist der romanische Bau unter den gotischen Elementen erhalten geblieben.

Die Söhne des um 1041 verstorbenen Tancrède de Hauteville sollen den Bau mitfinanziert haben. Tancrède de Hauteville, ein eher unbedeutender Adeliger aus der Umgebung von Coutances, hat zwölf Söhne, aber nur einer kann seine kleine Herrschaft erben. Die anderen versuchen ihr Glück als Wegelagerer und Söldner in Süditalien. Sohn Drogon schafft es, Graf in Apulien zu werden, dessen jüngerer Bruder Robert Guiscard weitet das normannische Herrschaftsgebiet auf ganz Süditalien aus und lässt die Kathedrale von Salerno bauen. Der jüngste der zwölf, Roger, übernimmt das Reich seines älteren Bruders und wird in Sizilien zum König gekrönt. Dessen Sohn Roger II baut in Palermo den Normannenpalast, UNESCO-Weltkulturgut und bis heute Sitz des sizilianischen Parlaments. Die Dynastie der Hauteville / Altavilla endet mit Costanza (1154-1198), Kaiserin und Gemahlin von Kaiser Heinrich VI und Mutter des späteren Kaisers Friedrich II. Eine phantastische Geschichte.

An der Rue Geoffrey de Montbray – benannt nach dem streitbaren Ritterbischof im Umfeld Wilhelms des Eroberers – entdecken wir zwei sympathische, kleine Restaurants, in denen aber alle Plätze schon reserviert sind. Grösser ist la Taverne du Parvis, auch gut und ebenfalls gut besucht, wie wir bald feststellen.

Nach dem Mittagessen fahren wir zurück nach Granville. Auf Wunsch unserer Gruppe besuchen wir dort hoch auf einem Felsband über dem Meer das Elternhaus des Modeschöpfers Christian Dior (1905-1957), heute ein Museum. Der Garten der Fabrikantenvilla ist als Park frei zugänglich. Wer sich für Mode interessiert, sollte das Museum besichtigen. Für mich ist es der erste Besuch in einem Museum, das der Mode gewidmet ist, eine willkommene neue Erfahrung.

Von der Villa führt ein steiler Weg über Treppen hinunter zur Standpromenade. Das Wetter ist inzwischen fast wieder sommerlich warm. Es ist unser letzter Nachmittag in der Normandie. So schnell vergeht die Zeit.

Wir steigen vom Casino die Treppen hinauf zur Altstadt von Granville, die auf soliden, schwarzen Felsen über dem Meer gebaut ist, besuchen die Kirche Notre-Dame mit ihren Votivschiffen, die von geretteten Fischern stammen, spazieren weiter, hoch über dem Meer und in der Abendsonne, bis zur Pointe du Roc, dann weiter hinunter zum Hafen, wo die Schiffe während der Ebbe auf dem Trockenen liegen. Dort haben wir für ein gemeinsames Abendessen einen Tisch reserviert. Bistronomik nennt sich das Restaurant mit gastronomischen Ambitionen, das uns bei einem früheren Besuch gefallen hat.

Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Zug nach Paris. Normalerweise fahren direkte Züge in drei Stunden von Granville nach Paris-Montparnasse. An unserem Reisetag aber sind Bauarbeiten angesagt, und so fahren wir zuerst zurück nach Caen, steigen dort um und fahren von dort ohne Halt bis Paris Saint-Lazare, wo wir am Mittag ankommen, unser Hotel beziehen, in der Nähe in einem thailändischen Restaurant essen und anschliessend das Musée d’Orsay betreten.

Das Musée d’Orsay ist die letzte Sehenswürdigkeit unserer Reise. Die hochkarätige Sammlung im ehemaligen Bahnhof ist der Kunst zwischen 1848 und 1914 gewidmet. Zu den bevorzugten Sujets der Maler gehören die Landschaften der Normandie, vor allem die Küsten. Zum Beispiel die Küste von Étretat nach dem Regen, gemalt 1870 von Gustave Courbet. 

Im Musée d’Orsay befindet sich auch eine Replik der Skulptur Saint Michel terrassant le dragon von Emmanuel Frémiet (1838-1910). Die vergoldete Version befindet sich seit 1897 auf der Spitze der Abteikirche des Mont-Saint-Michel – so hoch im Himmel oben, dass man sie nicht genau sieht.

Das ist wohl gut so, denn von nahe sieht man, dass der Erzengel den kleinen Drachen nicht niederschmettert, nicht besiegt, nicht vernichtet, ihn nicht einmal bekämpft, sondern nur auf ihm steht, ihn als Plattform benützt. Denn dieser Erzengel ist schwer, eine halbe Tonne schwer in seiner metallischen Rüstung, die ihn gewiss auch am Fliegen hindert, da helfen die Flügel wenig. Kein spiritueller Erzengel also, so empfinde ich es, sondern Ausdruck einer Zeit, die sich auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs zubewegt. Wesensverwandt ist dieser französische Erzengel mit dem deutschen Michael in Ritterrüstung, der über das 1913 eingeweihte Völkerschlachtdenkmal in Leipzig wacht.

Den Tag in Paris beenden wir mit einem fröhlichen Abendessen in einem Restaurant an der Rue de la Gaité.

Am nächsten Morgen fahren wir mit dem TGV von Paris bis zum Bahnhof Belfort-Montbéliard TGV, nehmen den Lift vorne am Bahnsteig, gelangen so zum Bahnhof Meroux und fahren gemütlich weiter durch die Ajoie und über Delsberg heim an unsere Wohnorte.

Biel / Bienne, 24. August 2024

Thun, 29.Juni 2024

Rom, 13. – 22. Februar 2024

Aarau, 20. Januar 2024

Sizilien, 29. Oktober – 14. November 2023

Surselva, 21. Oktober 2023

Bad Säckingen, 9. September 2023

Franche-Comté und Burgund, 5. bis 12. Juli 2023

Schaffhausen, 20. Mai 2023

Chambéry und Turin, 22. bis 30. April 2023

Neuchâtel (Neuenburg) und Môtiers, 18. Februar 2023

Glis, Brig und Raron, 17. September 2022

Bourges, Tours, Le Mans, Angers, Chartres, 3. – 11. September 2022

Zweisimmen und Blankenburg, 20. August 2022

Über die Alpen von Augsburg nach Trient, 9. – 17. Juli 2022

Einsiedeln und die Ufenau, 28. Mai 2022

Neapel und die Küste von Amalfi, 9. – 17. März 2022

Lausanne, 19. Februar 2022

Wettingen und Baden, 30. Oktober 2021

Rosinen der Renaissance in Italien, 2. – 9. Oktober 2021

Bulle und Gruyères, 18. September 2021

Gotische Kathedralen in der Champagne und der Picardie, 21. – 29. August 2021

Sommer in der Romandie, 3. – 10. Juli 2021

Tolstoi, Wagner und Nietzsche in Luzern, 12. Juni 2021

Genf – auf den Spuren von Calvin, Rousseau, und Dunant, 8. Mai 2021

Sion, 6. März 2021

Kulturreise Graubünden, 19.-25. Oktober 2020

Fribourg/Freiburg und Hauterive, 17. Oktober 2020

Was hat Bern im Jura verloren? Delémont, 15. August 2020

Kulturreise Tessin (Sopraceneri), 18.-23. Juli 2020

Burgdorf und Lützelflüh, 4. Juli 2020

Erasmus von Rotterdam in Basel, 20. Juni 2020

Ausflüge und Reisen in Zeiten des Virus, März 2020

Mailand, Pavia, Genua , 1.-8. Februar 2020

La Chaux-de-Fonds, 18. Januar 2020

Montbéliard, 7. Dezember 2019

Von Baku nach Bern auf dem Landweg, 20.-29. November 2019

Baku, Aserbaidschan, 13.-20. November 2019

Biel, Ligerz, Neuenburg, Dürrenmatt – 2. November 2019

Solothurn – 5. Oktober 2019

Avenches und Saint-Maurice – 7. September 2019

Brugg, Habsburg, Königsfelden – 3. August 2019

Besançon – 6. Juli 2019

Moudon, Ropraz, Jacques Chessex – 1. Juni 2019

Sursee, Buttisholz, Ruswil – 4. Mai 2019

Trachselwald – 6. April 2019

Stadtrundgang Bern – 2. März 2019

Tulpen und andere Blüten – anfangs Februar 2019