Kann das gut gehen? Die Prognose von Meteofrance: Regen in Montbéliard, den ganzen Tag lang.
Wir wollen mit der Bahn nach Frankreich, aber die Angestellten der SNCF haben einen Streik angekündigt, um gegen eine geplante Rentenreform der Regierung Macron zu protestieren, die im Detail noch nicht bekannt ist, ausser dass es um die Abschaffung der régimes spéciaux de retraite gehen soll, der Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen.
Am 5. Dezember zeigen die Abendnachrichten von TF2 leere Bahnhöfe. Die Bevölkerung steigt um auf Velos, Trottinette und dergleichen oder arbeitet von zu Hause aus. Der Streik wird befolgt, und er soll auch an den folgenden Tagen fortgesetzt werden.
Ein Freund bietet mir an, mitzuhelfen beim Autotransport von Teilnehmern von der Grenze bis Montbéliard. Ich studiere Busfahrpläne.
Eine Verbindung von Delle nach Montbéliard wäre mit den Verkehrsbetrieben von Belfort und Montbéliard optymo und evolity zwar möglich, aber können wir sicher sein, dass die Busfahrer nicht auch streiken? Und wie steht es mit der Teilstrecke von Boncourt, dem letzten Bahnhof in der Schweiz, nach Delle, dem ersten Halt in Frankreich?
Wir wählen am Schluss eine Option, die auch in Frankreich populär ist: le covoiturage. Mit drei Autos warten wir in Boncourt, als die unerschrockenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Zug ankommen.
Es ging bei diesem Ausflug in die Grenzregion hinter der Ajoie darum, eine kleine Stadt kennenzulernen, die trotz ihrer Nähe zur Schweiz vielen unbekannt ist.
Mit dem Auto nach Belfort zu fahren wie ursprünglich mit dem Zug geplant macht allerdings wenig Sinn. Wir werden Belfort bei einer nächsten Gelegenheit besuchen.
Dafür schlagen wir nach einer Kaffeepause in Delle einen kleinen Umweg über ein kleines Dorf vor. Es heisst Saint-Dizier l’Evêque.
Um das Jahr 670 wurde ein Bischof mit Namen Desiderius auf seiner Rückreise von Rom von Banditen erschlagen. Der Sarkophag in der Kirche, in dem der Heilige vom 7. bis zum 10. Jahrhundert gelegen hatte, erhielt im Lauf der Zeit eine neue Funktion. Im 18. Jahrhundert stiegen Kranke durch die seitlichen Öffnungen in den Sarkophag. Der Aufenthalt im Sarkophag half zusammen mit anderen Therapien gegen Kopfschmerzen und gegen verschiedene Formen der Verrücktheit. Um den Einstieg herum ist der populäre Stein, «la pierre des fous» genannt, ganz abgewetzt.
Die leere Kirche bietet die Gelegenheit, etwas über die Geschichte der “Burgundischen Pforte” (französisch «Trouée de Belfort», englisch “Belfort Gap”) zu erzählen, über den unsinnigen Krieg 1870/71 sowie über den Widerstand der Festung Belfort unter dem Kommando des Protestanten Pierre Philippe Denfert-Rochereau (1823-1878), der dazu führte, dass Belfort bei Frankreich blieb als Hauptort eines neu geschaffenen Departements mit dem Namen «Territoire de Belfort».
Von Saint-Dizier fahren wir nach Montbéliard, finden gut gelegene Parkplätze, gehen zu Fuss über den Kanal und den Fluss Allan und machen einen thematischen Rundgang durch die Altstadt auf den Spuren des württembergischen Renaissance-Architekten Heinrich Schickart.
Sehenswert sind die Anlage der Vorstadt «Neuve-Ville», der Schwabenhof oder la Souaberie, die Kirche Saint-Martin und – wenn auch nicht von ihm gebaut – der Gebäudekomplex Les Halles, der in verschiedenen Phasen von 1535 bis 1626 errichtet wurde.
Über die Mittagszeit finden einige Teilnehmer Platz in einem Restaurant, andere verköstigen sich im gastronomischen Teil des Weihnachtsmarktes «Lumières de Noël».
Am Nachmittag setzen wir den Rundgang fort und berichten den Teilnehmern, wie eine Tochter der Stadt aus bester lutherisch-württembergischer Familie Zarin von Russland wurde.
Wer wollte, konnte im Anschluss daran noch das Museum im Schloss und das Wohnmuseum im Hôtel Beurnier-Rossel besichtigen, oder zeitgenössische Kunst von Anita Molinero im CRAC (Centre régional d’art contemporain) bestaunen.
Den ganzen Tag lang habe ich einen Regenschirm mit mir herumgetragen. Gebraucht habe ich nicht. Unser Dank geht an den heiligen Petrus, an die Fahrer mit ihren Privatautos und an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, für ihr Interesse und ihren Wagemut.