Fribourg/Freiburg und Hauterive, 17. Oktober 2020

Wer von Bern nach Freiburg reist, merkt bald: Freiburg ist anders.

Was macht den Unterschied aus zwischen den zwei Städten, die beide von der gleichen Dynastie gegründet worden sind? Nur die Sprache?

Die alten Gebäude bestehen aus ähnlich grauen oder leicht grünlichen Sandsteinquadern. Die Altstädte liegen beide malerisch und erhöht über einer Biegung eines Flusses, der von den Alpen kommt und dem Flachland zuströmt.

Wer in Fribourg/Freiburg aus dem Bahnhof tritt, steht nach wenigen Schritten vor einem öffentlichen Stadtplan. Hier treffen wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unserem Rundgang. Auf dem Plan zeigen wir die vier Altstadtquartiere Bourg, Neuveville, Auge und Hôpitaux. Wir werfen einen Blick auf den Boulevard de Pérolles und gehen am markanten Theaterbau Equilibre vorbei zum Brunnen, den der Künstler Jean Tinguely zum Andenken an den Autorennfahrer Jo Siffert geschaffen hat.

Der Brunnen liegt an einem ruhigen Ort und bietet sich an, um Tinguely und seine zweite Frau Niki de Saint-Phalle vorzustellen, die in der Freiburger Museumslandschaft mit dem Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle vertreten sind. Der Ort eignet sich auch für einen Ausflug in die Gründungszeit von Freiburg.

In der Nacht vom 9. auf den 10. Februar 1127 werden zwei führende Vertreter des burgundischen Adels in der Abteikirche von Payerne ermordet. Payerne liegt im Broyetal an einer Verkehrsachse, die seit der Römerzeit benutzt ist, dort liegt auch die legendäre burgundische Königin Berta begraben. Ein überlebender Vertreter der burgundischen Adelsfamilie, Guillaume de Glâne, stiftet darauf 1132-37 das Kloster Hauterive, das 1138 eingeweiht wird. Über den Auftraggeber des Mordes ist nichts überliefert, er nützt aber einer aufstrebenden Dynastie.

1157 gründet Herzog Berchtold IV von Zähringen, ein Mann aus dem Schwabenland, die Stadt Freiburg im Üechtland. Er nennt sich dux et rector Burgundiae, aber die Funktion eines Verwalters Burgunds, die ihm vom deutschen König verliehen worden war, verliert sich oder schwächt sich ab. So streben er und sein Sohn Berchtold V, der 1191 die Stadt Bern gründet, ein eigenes Herrschaftsgebiet an und versuchen, ihren Ruf als Herzöge ohne Land loszuwerden.

Da es im 12. Jahrhundert keine Methoden künstlicher Befruchtung gibt, keine techniques de PMA (procréation médicalement assistée – weder für heterosexuelle Paare noch für die LGBT+ Community), stirbt Herzog Berchtold V von Zähringen trotz zweier Eheschliessungen ohne männlichen Nachwuchs. Ende der Zähringerdynastie.

Hier beginnen die Unterschiede zwischen den beiden Städten.

Die Berner, damals noch nicht für ihre Langsamkeit bekannt, erhalten oder fälschen weitreichende Privilegien in einer Urkunde («Goldene Handfeste»). Am Standort des herzoglichen Schlosses bauen sie die Nydeggkirche – wer würde es wagen, sie wieder abzureissen? Zwischen Bern und dem König gibt es jedenfalls keine weitere Hierarchiestufe, und mit der Zeit ist Bern eine freie Reichsstadt. Die Freiburger hingegen stehen ab 1218 unter der Oberherrschaft der Kyburger, ab 1277 unter den Habsburgern, ab 1452 unter Savoyen. Erst 1478 wird Freiburg freie Reichsstadt.

Vom Tinguelybrunnen begeben wir uns in die Romontgasse, wo seit 2003 die Frauenstatue La Pleureuse der Zürcher Künstlerin Franziska Koch unaufhörlich weint – der Name erinnert wohl an die Pleureuses, die am Karfreitag in einer Prozession mit den Leidenswerkzeugen Christi durch die Altstadt von Romont ziehen.

Wir gehen weiter zur Place Python, deren Name nicht an eine Schlange erinnern soll, sondern an Georges Python (1856-1927), an den Gründer der Universität, den führenden Vertreter des politischen Katholizismus seiner Zeit, der 41 Jahre lang Mitglied der Freiburger Regierung war, an den starken Mann, der Freiburg zur République chrétienne umgestaltete.

Dort sind wir am Rand der Altstadt. Früher stand am oberen Ende der Lausannegasse ein Tor in der Stadtmauer mit einer Figur, die die Stunden schlägt, ähnlich wie beim Berner Zytgloggeturm – le Jacquemart. Daneben bauten die Ursulinerinnen ihr Kloster. (Neben der Place Python liegt die obere Haltestelle der Seilbahn, die in die Unterstadt führt – das Bild zeigt den Ausblick von dort).

Wie viele Klöster gibt es in der Stadt? Oder anders gefragt: Wie heilig ist Freiburg verglichen mit Rom?

Ohne Anspruch auf Seriosität ist die folgende Berechnung: Wenn Freiburg mit seinen 38,000 Einwohnern ursprünglich sieben Klöster hat, dann müsste die Heilige Stadt Rom mit ihrer 82fachen Bevölkerung 575 Klöster haben, wenn sie Freiburg an Heiligkeit übertreffen möchte.

Über die Rue Canisius gelangen wir zum Collège Saint Michel, gegründet von Peter Canisius alias Peter D’Hondt (1521-1597), Verfasser von Katechismen für Theologiestudenten und für das Volk, seliggesprochen 1864, kanonisiert 1925. Bald jährt sich der 500jährige Geburtstag des Jesuiten. Eine Feier wird vorbereitet, und für die Überreste des Heiligen wird ein neuer Reliquienschrein in Auftrag gegeben. Canisius wollte eine Erneuerung der Kirche, aber nicht die von den Reformierten vorgeschlagene. Freiburg hat sich im 16. Jahrhundert der Reformation nicht angeschlossen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Bern und Freiburg.

Eine steile gedeckte Treppe führt hinunter zur Rue de Lausanne, von dort gelangt man zur Place Nova Friburgo. Die Schwesterstadt in Brasilien zählt heute 184,000 Einwohner. Von der Place Nova Friburgo blickt man auf den Ort, an dem bis vor wenigen Jahrzehnten die ursprüngliche Murtenlinde stand, die gemäss der Legende nach der Schlacht von 1476 gepflanzt worden war, und deren Spross heute neben dem Rathaus steht, das zurzeit renoviert wird. Mindestens 17 weitere Linden, aus Zweigen der sterbenden Murtenlinde gezogen, stehen an verschiedenen Orten in des Kantons und der Schweiz.

Neben der Treppe in die Unterstadt, genauer ins Quartier Neuveville, steht der Brunnen, dessen Brunnenfigur Stärke symbolisiert, geschaffen von einem Bildhauer, den die Berner kennen sollten: Hans Gieng. Seine Statuen in Bern, unter ihnen der bekannte Kinderfresserbrunnen, sind bemalt. Anders die Statuen in Freiburg, bei denen man sieht, dass sie aus Stein gehauen sind.

Nach einer Kaffeepause in der Nähe des Pont Saint-Jean gelangen wir zur Kirche Saint-Jean, die dem Johanniterorden gehörte, der in seiner katholischen Version später der Malteserorden wurde, l’ordre souverain militaire et hospitalier de Saint-Jean de Jérusalem, de Rhodes et de Malte. Die Komturei dieser Kreuzritter wird anfangs des 19. Jahrhunderts vom Staat Freiburg übernommen. Eine grosse Reproduktion des Porträts von Marguerite Bays (1815-1879) bildet den Anlass für eine Vorstellung der 2019 von Papst Franziskus heiliggesprochenen Näherin.

Von der Kirche gehen wir vorbei an der ehemaligen Kaserne und über die Mittlere Brücke zur Place Petit Saint-Jean oder Klein-Sankt-Johann-Platz, so genannt, weil sich die Niederlassung der Johanniter ursprünglich dort befand, im Auquartier, Quartier de l’Auge.

Dort lebten früher viele Zuwanderer aus dem deutschsprachigen, armen Sensebezirk, die in einer eigenartige Mischsprache redeten, le bolze. Der Stolz der Berner Lokalpatrioten auf ihr Mattenenglisch lässt sich vergleichen mit dem der Freiburger auf ihr bolze.

In einem Haus neben dem Restaurant Le Tirlibaum wurde 1936 der Autorennfahrer Jo Siffert geboren, genannt Seppi. Seine Eltern führten dort einen Milchladen, der nicht rentierte. Später handelte Seppis Vater mit Autos. Der frühe Unfalltod des Rennfahrers im Jahr 1971 war für den Journalisten und Schriftsteller Niklaus Meienberg Ausgangspunkt für eine bekannte Reportage über Leben, Aufstieg und Tod des schnellen Freiburgers.

Etwas erhöht, aber nicht direkt am steilen Stalden, der das Auquartier mit dem Burgquartier und seiner Reichengasse (französisch Grand-Rue) verbindet, liegt die Kirche Saint-Augustin des 1848 aufgehobenen Augustinerklosters. Der grossartige Hochaltar aus Eiche und Tanne (1593-1602) zeigt in der Mitte die Himmelfahrt Marias mit musizierenden Engeln, links und rechts Augustin und Mauritius, darüber Verkündigung und Heimsuchung, zwischen den zwei Szenen den heiligen Nikolaus von Myra, Stadtpatron. Oben die Krönung Marias zwischen den Aposteln Peter und Paul.

Von dort aus steigen wir hoch zur Chorherrengasse, zur Rue des Chanoines. Über einem Hauseingang prangt das Wappen des chapitre, des Kapitels. Es zeigt die wichtigste Reliquie der Stadt, nämlich den Arm des Heiligen Nikolaus, der 1506 vom Kloster Hauterive nach Freiburg überführt wurde. An dieser Stelle ist eine Erklärung über die Rolle der Chorherren fällig, die das Kapitel bilden.

Der Freiburger Ratsherr Peter Falck erreicht in Verhandlungen mit dem Vatikan im Jahr 1512, dass St. Nicolas als Kollegiatsstift anerkannt wird, welches nicht mehr dem Bischof von Lausanne, sondern direkt dem Papst unterstellt wird. Die Chorherren, Vertreter der wichtigsten Familien der Stadt, übernehmen wichtige Funktionen im Gottesdienst. Sie sind an kein Armutsgebot gebunden, leben von ihren Pfründen und kleiden sich in Almutien, Überwürfen aus sibirischen Eichhörnchenfellen. Eine Publikation des Historikers Jean Steinauer von 2012 beschreibt die 500-jährige Geschichte der mächtigen Chorherren.

Zum Ende des Rundgangs besuchen wir die gotische Stiftskirche, die seit 1924 Kathedrale und Sitz der Diözese Lausanne, Genf und Freiburg ist, la cathédrale Saint-Nicolas. Die Jugendstil-Glasfenster des Polen Josef Mehoffer sehen wir uns chronologisch nach ihren Entstehungsdaten (1895-1918) an (im Bild: König Herodes mit dem Tod, Teil der Darstellung des bethlehemitischen Kindermords, 1902-1904). Besonders sehenswert und stimmungsvoll die umfangreiche Figurengruppe der Grablegung aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Unter dem Eingangsportal der Kathedrale verabschieden wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine Mittagspause. Wegen der Epidemie empfehlen wir Restaurantbesuche nur in kleinen Gruppen. Wir versäumen nicht einen Hinweis auf die Sehenswürdigkeiten, die auf der rechten Seite der Murtenstrasse aneinandergereiht sind wie auf einer Perlenschnur: la Basilique Notre-Dame, l’Espace Jean Tinguely Niki de Saint-Phalle, le couvent des Cordeliers mit Kirche, le Musée d’art et d’histoire, die Klosterkirche der Visitation und schliesslich, schon fast beim Murtentor, le couvent des Capucins.

Am Nachmittag fahren wir mit dem Bus in zehn Minuten zur landwirtschaftlichen Schule Grangeneuve.

Von dort sind es fünfzehn Minuten zu Fuss bis zum Zisterzienserkloster Hauterive (Altenryf). Die deutschsprachige Führung durch das Kloster erlaubt uns eine Besichtigung des Kreuzgangs und des aus Eichenholz geschnitzten gotischen Chorgestühls (1472-1486). Der pensionierte Lehrer aus Bern, der uns durch das Kloster führt, hilft dem Kloster als Freiwilliger.

Öffentliche Führungen gibt es auch für Einzelpersonen, jeden Samstag, sie sind gratis (Kollekte). Publikationen und Produkte aus klösterlicher Produktion gibt es im Klosterladen.

Die Chorstühle sind nicht nur alt in Hauterive. Sie erfüllen auch ihre ursprüngliche Funktion. Hier versammeln sich die Mönche siebenmal täglich für ihre traditionellen Stundengebete, beginnend mit der Mette (Vigiles) um 04.15 Uhr und endend mit dem Schlussgebet Komplet (Complies) um 19.50 Uhr. In der Klosterkirche liegen Broschüren, dank ihnen können Besucherinnen und Besucher den Text der Gesänge mitverfolgen.