Eigentlich habe ich den Fahrer des Schienenbusses nur gefragt, ob er die Vorhänge etwas zur Seite schieben könne, damit wir Passagiere das Gleis vor uns erblicken können während der Fahrt.
Seine Antwort: «Kommen Sie nur rein, und stellen Sie Fragen, ich werde mich bemühen, sie zu beantworten».
Der Dieselmotor sprang an, der Zug bewegte sich, fuhr gemächlich über Weichen, verliess den Bahnhof von La Chaux-de-Fonds, liess Wohnblocks und Uhrenfabriken hinter sich, beschleunigte auf der Hochebene. Dann senkte sich die Strecke gegen Le Locle zu, der Lokführer bremste, wir hielten kurz an, fuhren weiter zum Grenzbahnhof Le Locle Col-des-Roches mit seinem verlassenem Gleisfeld für längst verschwundene Güterzüge und an einem leerstehenden Hotel vorbei in den ersten Tunnel.
Dann waren wir in Frankreich, am Hang oberhalb der Strasse mit der Zollstation. Die Strecke senkte sich weiter. Sie sei seit vierzig Jahren nicht saniert worden, meinte der junge Lokführer aus Besançon. Wir sahen die nicht verschweissten, etwas unregelmässig angeordneten Gleisstücke vor uns, man hörte und spürte den charakteristischen Rhythmus eines Zuges. Pflanzen wuchsen zwischen dem Schotter, es rumpelte trotz der bescheidenen Geschwindigkeit, eine langsamere Bahnfahrt kann man sich schwerlich vorstellen, slow travel eben.
Ich wies die mitreisenden Passagiere auf das bescheidene Flüsschen Doubs hin, welches wir vor Morteau überquerten. Dann ging die Fahrt nach einem Halt weiter, gemächlich dem Fluss entlang, dann in die Höhe, vor uns ein weiterer Tunnel, der Lokführer zeigte auf den Zugang zu einem Stollen, den man gebaut hatte, um den Tunnel im Kriegsfall zu sprengen, zu einer Zeit, als Bahnlinien noch militärische Bedeutung hatten.
Am Schluss der Strecke wand die Bahnlinie sich dem hohen Felsen entlang nach unten, auf dem die bekannte Zitadelle von Besançon steht, und von oben sah man wieder den Doubs, der nach einem sehr weiten Umweg ein grosser Fluss geworden war.
In Besançon im Parc Micaud gleich neben der Bahnhaltestelle Mouillère hielt unsere kleine Gruppe vor der Statue von Louis Pergaud, dessen Buch von 1912 «La guerre des boutons» nach dreissig Auflagen immer noch verkauft wird. Dann Kaffee trinken im Café Beaux Arts, anschliessend vor dem bescheidenen Geburtshaus den Gesellschaftstheoretiker Pierre Joseph Proudhon (1809-1865) vorstellen, der die These «Eigentum ist Diebstahl» geprägt hat und der als Typograph und späterer Korrektor die Texte des ebenfalls in Besançon geborenen Frühsozialisten Charles Fourier (1772-1837) gelesen und korrigiert hat.
Im Quartier Battant über die Architektur des Hôtel de Champagney staunen, einen Blick in die klassizistische Kirche der Maria Magdalena werfen, auf einer Terrasse der Place de la Révolution ein gutes Mittagessen verspeisen. Beim Weitergehen die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf das Motto VTINAM lenken, das zur Stadt gehört wie ihr Wappen, ein Adler zwischen zwei Säulen. Das Kunstmuseum besuchen mit dem römischen Neptun-Mosaik und den Gemälden von Lukas Cranach und Pierre Bonnard, dann vor dem Denkmal für Victor Hugo unter den schattenspendenden Kastanien erklären, wie der Autor darauf kam, Besançon als vieille ville espagnole zu bezeichnen.
Im Renaissance-Palast des kaiserlichen Kanzlers Nicolas Perrenod de Granvelle das Uhrenmuseum Musée du Temps besichtigen, dort Titians Porträt des Besitzers nicht übersehen, auch nicht das Porträt Karls des Kühnen ein Jahr vor seinem Tod, nicht den Wandteppich, der die Hochzeit von Kaiser Karl V mit Isabella von Portugal zeigt, die dazu führte, dass im Weltreich der Habsburger die Sonne nie unterging. Auch die allegorischen Gemälde der jungen Frau beachten, die die Franche-Comté vor der Eroberung durch Frankreich darstellen, und natürlich die Präsentation der lokalen Uhrenindustrie.
Schliesslich ein paar Schritte weitergehen auf der Grande Rue, die eine der zwei Hauptachsen der römischen Stadt Vesontio ist, bis zum römischen Triumphbogen Porte noire, der nach einer gründlichen Reinigung ganz weiss erstrahlt, und zur Kathedrale mit den Kapitellen aus dem 11. Jahrhundert, deren Darstellungen man aber kaum genau erkennen kann, weil sie so hoch oben sind und die Scheinwerfer, die die Kirche beleuchten, so blenden.
Wir haben nicht alle Sehenswürdigkeiten gesehen, und sie allein machen eine Stadt nicht aus.
Die Menschen, die am Samstag aus den Aussenquartieren, den Vorstädten und der Umgebung in die Innenstadt kommen und sie bevölkern, bringen eine lebensfrohe Atmosphäre in diese alte und gleichzeitig moderne Stadt, die bisher vom Massentourismus verschont geblieben ist.