20. August 2022: Zweisimmen und Blankenburg

Die indischen Touristen, die an diesem Morgen mit dem langsamen RegioExpress durch das verregnete Simmental fahren, filmen mit ihren Mobiltelefonen die wolkenverhangenen Berghänge. Das Simmental, bis 1986 durch den Bau einer Autobahn bedroht, ist eine idyllische Berglandschaft geblieben. Und der Regen ist nach wochenlanger Hitze und Trockenheit sehr willkommen.

Am Bahnhof Zweisimmen warten Ernst Hodel und Hansueli Gammeter auf uns. Die pensionierten Würdenträger kennen ihr Dorf und haben ein umfangreiches Buch über Zweisimmen geschrieben. Sie haben für den Besuch der Gruppe ein Tagesprogramm zusammengestellt.

Ernst Hodel beginnt mit einer umfassenden Präsentation der Gemeinde in einem Sitzungszimmer des Gemeindehauses. Die Verantwortung, die der Mann der Exekutive für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung trug, ist auch nach der Pensionierung zu spüren: die Brücken und Strassen in einer weitläufigen Gemeinde, die Schulen, das Spital, die Arbeitsplätze, der Tourismus. Sorgen mit der Hotellerie und die Erleichterung, dass die Bevölkerung – über 3000 Personen – leicht ansteigt und nicht abnimmt wie in den umliegenden Gemeinden.

Im Heimatmuseum, einem Wohnhaus aus dem 17. Jahrhundert, erklärt uns Hansueli Gammeter die typische Bauweise der Region. Ein gemauertes und weiss verputztes Kellergeschoss, darüber das untere Wohngeschoss als Ständerbau mit Stube und Küche, darüber ein oder zwei im Blockbau errichtete Stockwerke für Schlafzimmer, Lagerräume und andere Bedürfnisse. Im Heimatmuseum ist noch die offene Rauchküche erhalten.

Im Untergeschoss des Heimatmuseums befinden sich zwei Webstühle. Im Rahmen der aktuellen Ausstellung erläutert eine Weberin die Technik des Webens und die traditionellen Simmentaler Muster. Unter den Sammlungen des Museums zu erwähnen sind die Werkstatt eines Schusters, die Einrichtung eines Schulzimmers, mit Blumen und Ornamenten bemalte Truhen und schliesslich die Keramiksammlung. Einige originelle Exemplare des Geschirrs des Hafners Abraham Marti (1718-1792) sind zu sehen, der die Lehmvorkommen im Weiler Betelried bei Blankenburg für seine Produktion von Keramik verwendete.

Im Simmental sind Wanderwege markiert, die zu den schönsten Exemplaren der lokalen Baukunst führen, die Simmentaler Hauswege. Aber wie ist das Leben in einem jahrhundertealten Simmentaler Bauernhaus? Wie sehen diese Häuser von innen aus?

Unsere lokalen Führer haben für uns einen Besuch bei einem liebenswürdigen Ehepaar erbeten, deren Haus aus Baumstämmen erbaut wurde, die in den Jahren 1710 und 1711 gefällt wurden, wie ein dendrochronologischer Bericht zeigt. Die beiden haben ihr Haus mit Unterstützung der Denkmalpflege erhalten und modernisiert. Bei der Renovation wurden die Malereien an der Fassade erneuert. Im Innern wurden die mit Farbe überdeckten Dekorationen an Balken und Latten wieder sichtbar gemacht. Erhalten blieb die Luke im Boden eines Schlafzimmers, durch die warme Luft vom Ofen nach oben strömen kann.

Erhalten ist auch die Hausbibel, die beim Verkauf eines Hauses jeweils im Haus bleibt und in der sich die wechselnden Besitzer eintragen.

Von Zweisimmen gehen wir anschliessend in einer halben Stunde zu Fuss talaufwärts zum Weiler Blankenburg. Der Regen hat aufgehört. Zur Mittagszeit erreichen wir das Restaurant Hüsy, das in einem historischen Haus untergebracht ist. Küchenchef Hans-Jürgen Glatz ist nicht nur ein guter Koch, sondern auch ein begabter Scherenschnittkünstler und ein begeisterter Sammler historischer Scherenschnitte.

Die eindrückliche Sammlung zeigt, dass die Kunst des Papierschneidens nicht im Simmental erfunden wurde. Im Simmental, im Saanenland und im benachbarten Pays-d’Enhaut wird die Tradition aber bis heute weiter gepflegt. Viele Exponate zeigen symmetrische Alpaufzüge mit einem traditionellen Bauernhaus in der Mitte.

Der letzte Programmpunkt des Tages ist ein Besuch des Schlosses Blankenburg. Das Schloss war während vier Jahrhunderten eine bernische Kastlanei. Nach dem Ende des Ancien Régime und bis Ende 2009 wurde von hier aus der Amtsbezirk Obersimmental verwaltet.

Heute gehört das Schloss einer Stiftung, die einen Teil der Gebäude vermietet und historische Räume für Anlässe und Veranstaltungen offenhält. In diesen Räumen befinden sich passende historische Möbel, alte Stiche und Malereien, auch von lokalen zeitgenössischen Künstlern.

Besonders erwähnen möchte ich einen Kachelofen von Abraham Marti, der aus einem Simmentaler Haus stammt und kürzlich vom Historischen Museum in Bern nach Blankenburg zurückgekehrt ist.

Wir danken Ernst Hodel und Hansueli Gammeter für ihren Einblick in die Kultur des Obersimmentals und für die Gastfreundschaft!