2. – 9. Oktober 2021: Rosinen der Renaissance in Italien

Florenz und vor allem Venedig sind Städte des overtourism. Hier drängen und zwängen sich üblicherweise sehr viele Menschen an den gleichen Orten zusammen, kommen sich gegenseitig in die Quere, erscheinen der lokalen Bevölkerung wie eine Heuschreckenplage und machen den Tourismus zum Albtraum.

Im Juni 2021 war es etwas anders. Der Wasserspiegel blieb in vielen Kanälen Venedigs unbewegt. Reisen nach Italien waren gerade wieder erlaubt, und es wurde der Bevölkerung gestattet, an der Theke einer Bar einen Kaffee zu trinken. Die Zeitung La Repubblica schrieb, dank dieser Lockerung dürften Italienerinnen und Italiener endlich wieder sich selbst sein.

In den Restaurants spürte man die Erleichterung, dass wieder einheimische und ausländische Gäste auftauchten. An den Wochenenden strömten Junge und Alte in die historischen Zentren, um ihre wiedergewonnene Freiheit zu feiern, um zu promenieren, zu essen, sich zu treffen, Museen, Kinos und Theater zu besuchen, sich zu amüsieren.

Diese besonderen Umstände motivierten mich, für den Herbst eine Reise zu den Rosinen der Renaissance zu organisieren und dabei ausnahmsweise vor den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten nicht zurückzuschrecken.

Nachdem ich mich bei der Vorbereitung für einen Tagesausflug nach Basel im Juni 2020 mit Erasmus von Rotterdam beschäftigt habe, der gerne als Renaissance-Humanist bezeichnet wird, geht es bei dieser Reise um die Renaissance in Italien.

Der Basler Professor Jacob Burckhardt (1818-1897) hat 1860 ein Buch mit dem Titel Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch veröffentlicht, das bis heute gedruckt wird. Der Autor selbst ist auf der 1995 erschienenen Tausendernote abgebildet.

Der Kulturhistoriker Burckhardt beginnt seine Darstellung nicht mit Stilmerkmalen wie der Einführung der Perspektive oder dem realistischen Abbild menschlicher Körper. Für ihn ist die italienische Renaissance viel mehr, nämlich die Überwindung des Mittelalters und der Beginn der Neuzeit. In den Italienern der Renaissance sieht er die ersten Menschen der Moderne. So gesehen ist unsere Beschäftigung und unsere Reise eine Zeitreise zum Ursprung der modernen Menschheit.

Burckhardt beginnt sein Buch mit einer Darstellung der politischen Verhältnisse in Italien, die sich von denen nördlich der Alpen unterscheiden. Der Titel des ersten Kapitels: Der Staat als Kunstwerk.

Den Beginn der Neuzeit sieht er im Aufkommen von Herrschern in den italienischen Staaten, die ihre meist in blutigen Kämpfen errungene Macht nicht dynastisch durch adelige Abstammung, durch die Stellung von Vorfahren oder durch ein Vasallenverhältnis zu einem Kaiser legitimieren können, und die deswegen bestrebt sind, sich eine neue Form der Legitimität zu verschaffen, indem sie im Kampf um Einfluss und Ansehen versuchen, die genialsten Künstler und Wissenschaftler um sich scharen.

Einen weiteren Faktor sieht er darin, dass die Standesunterschiede in Italien an Bedeutung verlieren, weil Adel, Geistlichkeit und aufstrebendes Bürgertum in den italienischen Städten zusammenleben, während Adel und Geistlichkeit nördlich der Alpen sich vom Dritten Stand fernhalten.

Charakteristisch für die Renaissance ist schliesslich die Wiederentdeckung der Antike, die einhergeht mit einem Bedürfnis nach Bildung und einer Wertschätzung des Dialogs nach dem Vorbild des griechischen Philosophen Platons, des Streitgesprächs zwischen konkurrierenden Meinungen.

Konkret zu unserer Reise. Wir beginnen sie am Samstag, den 2. Oktober mit einer Fahrt nach Mailand, wo wir umsteigen. Vor Mittag erreichen wir mit dem Hochgeschwindigkeitszug Frecciargento die Stadt Parma, mit ihren etwa 200,000 Einwohnerinnen und Einwohnern auf Platz 15 der grössten Städte Italiens. Wir treffen die letzten Mitreisenden. Alle haben das erste Ziel unserer Reise per Bahn rechtzeitig erreicht. Neben dem Hinterausgang des Bahnhofs befindet sich das moderne Hotel, in dem wir unser Gepäck lassen.

Wir sind in der Stadt des Parmaschinkens, des Parmesans und der grössten Teigwarenfabrik der Welt. Ausserdem liegt die Stadt auf unserer Reiseroute nach Florenz, und wir sind schon am Mittag des ersten Reisetages mitten in der Atmosphäre Italiens.

Die Stadt ist seit dem Jahr 183 vor Christus römisch, sie liegt auf der Via Aemilia, heute Via Emilia, die auf einer schnurgeraden Strecke dem Nordhang des Apennins entlang 270 Kilometer von Piacenza bis Rimini verläuft. Ab 1341 ist sie unter mailändischer Herrschaft, ab 1500 wird sie französisch, 1521 wird sie erobert von einer Armee des Kirchenstaates und der Spanier. Von 1545 bis 1859 ist sie die Hauptstadt eines Herzogtums. Der erste Herzog, Pier Luigi Farnese, ist der Sohn von Papst Paul III, geboren als Alessandro Farnese. Dieser Papst verdankt seinen Aufstieg in der Hierarchie der Kirche vor allem dem Umstand, dass seine Schwester Giulia die bevorzugte Mätresse von Papst Alexander VI (Rodrigo Borgia) war. Die zweitletzte Herzogin war Marie-Louise von Österreich, Tochter des Doppelkaisers Franz II alias Franz I und zweite Ehefrau von Napoleon Bonaparte.

In der Stadt befindet sich ein grosses Denkmal für Giuseppe Verdi (1813-1901), der aus der Provinz stammt. In der Stadt geboren ist der Filmemacher Bernardo Bertolucci (1941-2018). Auf dem Platz vor dem Bahnhof steht ein bizarres Denkmal für Vittorio Bottego (1860-1897), esploratore, Entdecker. Eine kurze Recherche ergibt, dass der Mann seine Entdeckungen in Ostafrika mit Kanonen und Truppen machte. Die entdeckten Bevölkerungen dankten es ihm nicht, und so wurde der Entdeckerheld aus Parma in einem Hinterhalt getötet.

Parma ist kein Ursprungsort der Renaissance, aber hier befinden sich in der Vierung von zwei Kirchen die wohl ersten konsequent perspektivisch bemalten Kuppeln, die einen Blick in den Himmel darstellen, und zwar in der Kirche San Giovanni und im Dom.

Beide Werke stammen von Antonio Allegri di Correggio (1489-1534). Beim ersten handelt es sich um die Vision des Heiligen Johannes in der Offenbarung (1520-1524). Im Zentrum der Kuppel sieht man den vom Himmel hinabschwebenden Christus, wahrhaft froschartig verkürzt, so beschreibt es Burckhardt in seinem Reiseführer Der Cicerone. Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens, Basel 1855. Das zweite Werk von Correggio im Dom zeigt die Aufnahme Marias in den Himmel (nach 1524).

Burckhardt sieht die Malereien (wieder im Cicerone) kritisch: der Knäuel zahlloser Engel, welche hier mit höchster Leidenschaft einander entgegenstürzen und sich umschlingen, ist ohne Beispiel in der Kunst; ob dies die würdigste Feier des dargestellten Ereignisses sein kann, ist eine andere Frage. Eine Frage, die Burckhardt beschäftigt, weil wir Jesus und Maria jeweils von unten sehen.

Wegen ihrer technischen Perfektion werden diese Malereien trotzdem Vorbilder für unzählige ähnliche perspektivische Himmelsansichten an Kirchenkuppeln und -decken in der Zeit der Spätrenaissance und des Barocks.

In Parma lohnt sich auch ein Besuch des Museums im Palazzo della Pilotta, Überrest eines herzoglichen Gebäudekomplexes, der 1944 zu einem grossen Teil durch Bomben zerstört wurde. Zu sehen ist dort das Teatro Farnese, eine gewaltige Holzkonstruktion im Stil der Spätrenaissance innerhalb des Gebäudes, und die Gemäldesammlung Galleria nazionale mit einigen bemerkenswerten Malereien. Von Correggio ist beispielsweise die im Cicerone erwähnte Madonna mit dem heiligen Hieronymus, Madonna di San Gerolamo, das Jesuskind laut Cicerone von einer unbegreiflichen Hässlichkeit.

Vor dem Dom, wo Familien nach einer Firmungsfeier für ihre Familienfotos posieren, fällt uns später ein Junge auf mit Gesichtszügen, die dem Bild Correggios genau entsprechen. Hässlich ist er nicht. Ich freue mich, dass überhaupt noch Kinder aufwachsen in den italienischen Städten neben all den zahlreichen überzüchteten Rassehunden, die überall stolz spazieren geführt werden.

Mir persönlich gefällt in der Galleria nazionale das Bild eines ungekämmten Mädchens (la Scarpigliata), vermutlich von Leonardo da Vinci. Anders als die Mona Lisa im Louvre kann man das kleine Bild in Ruhe ansehen.

Die Restaurants im Zentrum von Parma sind an einem Samstagabend sehr gut besetzt. In der Osteria dello Zingaro, die uns im Juni gefallen hat, sind schon alle Plätze für die zwei Services des Abends vergeben. Schlechte Noten für den Organisator! Wir finden schliesslich einen Platz auf der Westseite des Flusses Parma, wo sich der kleinere Teil der Altstadt befindet.

Am Sonntag verlassen wir das noch neblige Parma und erreichen mit einem schnellen Regionalzug (Regionale Veloce) in einer knappen Stunde die an diesem Sonntagmorgen sonnige Stadt Bologna. Der Eingang unseres Hotels nicht weit vom Bahnhof wird von einer Menschentraube belagert. Was ist da los? Die Fussballmannschaft von Lazio Roma hat im Hotel übernachtet. Fans warten, dass ihre Stars das Hotel verlassen. Mit unseren Rollkoffern werden wir von der Polizei eingelassen. Wir erleben den Moment mit, als die Mannschaft an uns vorbei in den Mannschaftsbus steigt und die Wartenden in Jubel ausbrechen. Wir können um 11 Uhr schon unsere Zimmer beziehen. Der Jubel nützt Lazio wenig, Bologna gewinnt am Nachmittag 3:0.

Bologna wird beschrieben als la rossa, la grassa, la dotta, als die rote, die fette, die gelehrte. Hier wurde im Jahr 1088 die erste Universität des Okzidents gegründet. Die Hauptstadt der Region Emilia-Romagna hat eine Bevölkerung von 394,000 Seelen und steht nach Rom, Mailand, Neapel, Turin, Palermo und Genua auf Platz 7 der Städte Italiens. Die Stadt ist traditionell links regiert. An diesem Wochenende wird der Stadtpräsident wiedergewählt, ohne dass es aufregend wird.

Auf einer pompösen Treppenanlage steigen wir hoch zum Giardino della Montagnola, durchqueren den Park und gehen zur Pinacoteca nazionale, zur Gemäldegalerie, die am Sonntag nur bis 14 Uhr geöffnet ist. Auch diese Gemäldesammlung ist sehenswert. Vier Bilder möchte ich erwähnen. Erstens von Giotto di Bondone (1267-1337) das signierte Gemälde Madonna con Bambino e Santi. Zweitens von Francesco Francia das Bild Il Bambino adorato dalla Vergine von 1498/99, auf dem zwei Vertreter der lokalen Herrscherfamilie Bentivoglio abgebildet sind, die 1506 ihre Macht verlor. Drittens von Perugino (eigentlich Pietro di Cristoforo Vannucci) die Madonna in gloria e santi von 1500.Viertens von Raffaello Sanzio Estasi di santa Cecilia, entstanden zwischen 1514 und 1516. Dieses letzte Bild zeigt die heilige Cäcilie, die ihre Musikinstrumente hat sinken lassen und zusammen mit dem heiligen Paulus, dem Evangelisten Johannes, Augustin und Magdalena einer himmlischen Musik zuhört, die durch einen Chor von Engeln angedeutet ist. Magdalena ist laut Burckhardt (im Cicerone) eine der grossartig schönsten Figuren Raffaels. Einverstanden. Abgebildet ist Magdalena in der Ankündigung der Reise, in der Rubrik “Verpasste Gelegenheiten”, zusammen mit der Scarpigliata

Wir verlassen die Pinakothek hungrig und besetzen aufgeteilt in Kleinstgruppen die wenigen freien Plätze in den Restaurants im Stadtzentrum. Dann treffen wir uns beim Neptunbrunnen.

Der Brunnen auf dem wichtigsten Platz ist ein Werk des Künstlers Giambologna aus den Jahren 1563-66. Der Brunnen sollte grosszügig und grossartig werden wie die Regierung von Papst Pius IV, der den Kirchenstaat regierte, zu dem Bologna gehörte. Dazu gehört, dass aus den Brüsten der dargestellten Sirenen stilvoll Wasser spritzt. Wenige Jahrzehnte später baute man ähnliche Brunnen in Augsburg, die heute als UNESCO-Weltkulturgut gelten. Giambologna stammt übrigens nicht aus Bologna; Jean de Boulogne stammt aus der Stadt Douai, damals in Flandern, heute in der nordfranzösischen Region Hauts-de-France.

Im Süden der Piazza Maggiore im Zentrum Bolognas erhebt sich die grösste aus Ziegeln erbaute Kirche Italiens, San Petronio mit ihrer im oberen Teil unvollendeten Fassade, erbaut im gotischen Stil, 132 Meter lang, 60 Meter breit, 44 Meter hoch, Baubeginn 1390. In der vierten Kapelle des linken Seitenschiffes (cappella Bolognini) befinden sich Fresken von Giovanni da Modena aus den Jahren 1410-15 mit Darstellungen der Reise der heiligen drei Könige, des Lebens des heiligen Petronius und des Jüngsten Gerichts. Burckhardt (im Cicerone) ist wenig beeindruckt: In S. Petronio enthält die vierte Kapelle links unbedeutende Wandfresken. Auffällig ist in San Petronio der Meridian, der seit 1655 im Kirchenschiff markiert ist und offenbar für astronomische Berechnungen verwendet wurde.

Mit der Gruppe besuchen wir dann die Kirche Santa Maria della Vita, in der eine Figurengruppe aus Ton aus dem Jahr 1463 den Tod Christi beweint (Compianto su Cristo morto). Die Skulpturen stammen vom Künstler Niccoló dell’Arca, der so genannt wird, weil er am Grabmal von Dominikus (arca di San Domenico) mitgearbeitet hat. Zwei weibliche Figuren drücken das blanke Entsetzen aus in einer direkten Art, wie sie wohl zu dieser Zeit neu war.

Am Schluss unseres Rundgangs ziehen wir zum Grab des Heiligen Dominikus (Domenico de Guzmán), des Gründers des Dominikanerordens, der 1221 in Bologna starb. Die von der Antike inspirierten Reliefs auf dem Grabmal in der Kirche San Domenico stammen von einem Vorläufer der Renaissance, Nicola Pisano (Lebensdaten um 1220 oder 1225 bis 1284), und seiner Werkstatt.

Natürlich reicht ein Dreivierteltag nicht aus, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Bologna zu besuchen. Aber die Programme in Parma und Bologna haben ihren Sinn als Vorbereitung auf Florenz, die Stadt, in der die italienische Renaissance entstanden ist.

Am Montagmorgen fahren wir von Bologna nach Florenz. Wir haben die Wahl zwischen drei Bahnlinien. Die 78,5 km lange 2009 eröffnete Hochgeschwindigkeitsstrecke (davon 73,3 km in Tunnels), die 1934 eröffnete, 97 km lange Direttissima mit ihrem 18 km langen Basistunnel und die 1864 eröffnete Porrettana, Teil der ersten Bahnverbindung über den Apennin von Mailand nach Rom. Die Linie ist gewiss weniger spektakulär als die Gotthard-Bergstrecke, aber sie weist die gleiche maximale Steigung auf; am steilsten ist sie auf der Südseite der Berge. In Porretta Terme gibt es ein Thermalbad mit dem Namen Helvetia, wir bleiben nicht dort, sondern steigen von einem Regionalzug auf den nächsten um und fahren weiter dem Fluss Reno entlang in die Berge. Der menschenleere Zug wechselt oft von einer Talseite auf die andere und hält an malerischen, verlassenen Bahnstationen.

Das letzte Dorf vor dem Scheiteltunnel, Pracchia, gehört schon zur Provinz Pistoia und damit zur Region Toskana. Auf der Südseite der Bergstrecke ist beim Bahnhof Valdibrana eine bahnhistorische Besonderheit erhalten. Es ist ein Viadukt, das als Notspur geplant war für Züge, die nach dem Gefälle nicht genügend abgebremst werden konnten, und diente auch als Anlaufstrecke für Züge, die den steilsten Teil der Bergstrecke nicht aus dem Stand bewältigen konnten. Im Sommerhalbjahr organisiert ein Verein Fahrten mit historischen Zügen, zum Programm gehört jeweils der Besuch dieses seltsamen Viadukts, das nirgendwohin führt und von dem aus man die Ebene oberhalb von Pistoia überblickt.

Bei unserer Reise verschlechtert sich das Wetter. In Pistoia, wo wie ein zweites Mal umsteigen, regnet es leicht. Entschädigt werden wir in der Bar neben Gleis 1 durch einen barista, der in atemberaubendem Tempo achtmal guten italienischen Kaffee auf die Theke zaubert.

Anders als in Parma und Bologna, wo wir in den ziemlich luxuriösen NH Hotels übernachtet haben, sind wir in Florenz in einem ehemaligen Kloster untergebracht, im einfachen Hotel Vasari nicht weit vom Bahnhof Firenze S.M.N. (Santa Maria Novella).

Giorgio Vasari (1511-74), nach dem das Hotel benannt ist, ist ein bekannter Maler und Architekt. In Florenz hat er den Bürokomplex der Uffizi gebaut. Als Verfasser der 1568 erschienen Lebensgeschichten bekannter Renaissancekünstler (Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori) gilt er auch als einer der ersten Kunsthistoriker. Von ihm stammt die Bezeichnung gotico für die von ihm abgelehnte Kunst der Zeit vor dem Rinascimento (diesen Begriff prägt er auch) und der Maniera moderna (Manierismus).

Wir lassen unser Gepäck im Hotel, promenieren durch die Via Faenza zur gedeckten Markthalle, in der die Nahrungsmittel wie Kunstgegenstände ausgestellt sind, und suchen uns einen Ort aus für ein schmackhaftes Mittagessen.

Am Nachmittag gehen wir zum DomSanta Maria dei Fiori, staunen über die grossartigen Fassaden und über die Menschenschlange, die sich beim Eingang staut, und besuchen das Museo dell’ Opera del Duomo mit den drei berühmten Original-Bronzetüren des Baptisteriums. Es handelt sich dabei um die Südtür von Andrea Pisano (1330-36) mit 20 Szenen aus dem Leben Johannes’ des Täufers und der Darstellung von acht Kardinaltugenden, um das Nordportal von Lorenzo Ghiberti (1403-1424) und um die mittlere, östliche, dem Haupteingang des Domes gegenüberliegende Porta del Paradiso, die Ghiberti von 1425 an geschaffen hat, mit Szenen aus dem Alten Testament, die als Meisterwerke der Renaissance gelten. Auffallend ist beim Vergleich der beiden Türen Ghibertis, wie sehr der Künstler seinen Stil weiterentwickelt hat. Anders als bei der Nordtüre, bei der die Zunft der Textilhersteller und -händler einen Wettbewerb veranstaltet hatte, in dem der Entwurf von Filippo Brunelleschi unterlag, wurde der Auftrag für die Porta del Paradiso direkt an Ghiberti vergeben.

Der gelernte Goldschmied Filippo Brunelleschi (1377-1446) hat dafür mit der Kuppel des Doms ein Werk hinterlassen, das in Florenz unübersehbar ist. Sie war mit einem Durchmesser von 45,5 Metern und einer Höhe von 116 Metern während fast dreihundert Jahre lang die grösste Kuppel der Welt und ist bis heute die grösste aus Ziegeln erbaute. Ein kurzer Film im Museum verrät die Geheimnisse der ungewöhnlichen Konstruktion. Als die Republik Florenz mit dem Bau des Doms begann, wusste niemand, wie man es schaffen würde, eine Kuppel zu bauen, die den Dimensionen des Bauwerks entsprach. Auch in diesem Fall fand man, nachdem der Dom mehr als ein Jahrhundert ohne Kuppel dagestanden hatte, die Lösung in einem Wettbewerb. Die Kuppel von Florenz wurde schliesslich zum Vorbild für die noch grössere Kuppel des Petersdoms in Rom.

Nach dem Besuch des Museums steigen wir selbst die 463 Stufen zur Aussichtsplattform über der Kuppel hoch. Das Besondere an der Kuppelkonstruktion ist die Tatsache, dass die Kuppel aus einer Innenwand und einer Aussenwand besteht, zwischen denen man auf Treppen in die Höhe steigt. Von oben geniessen wir den Ausblick und die Tatsache, dass die angekündigten Gewitter erst spät abends über die Stadt hereinbrechen.

Beim Aufstieg und beim Abstieg kommt man am Rand der Kuppel vorbei und blickt in das zwischen 1572 und 1579 mit einer Darstellung des Jüngsten Gerichts bemalte Kuppelgewölbe, an dem Giorgio Vasari bis zu seinem Tod 1574 als führender Künstler gearbeitet hat.

Mit den Karten für den Besuch des Museums kann man auch das Baptisterium besuchen. Die Arbeit an den Mosaiken im Innern begann im Jahr 1225. Die Bilder erinnern mit ihrem goldenen Hintergrund und mit dem zentralen Christus Pantokrator an Byzanz. Am ersten Abend in Florenz Abend holen wir das gemeinsame Abendessen nach, das wir eigentlich für den ersten Abend n der Reise geplant hatten.

Am nächsten Morgen begeben wir uns in die Uffizien. Das Museum gehört zweifellos zu den bekanntesten Gemäldegalerien der Welt.

Vielleicht das bekannteste Werk ist die Geburt der Venus  (Nascita di Venere, 1485) von Sandro Botticelli (1444 oder 1445 – 1510). Burckhardt im Cicerone: hierfür studierte Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Akt, sondern auch einen höchst angenehmen, märchenhaften Eindruck hervor, der sich dem mythologischen unvermerkt substituiert. Grundsätzlich ist Burckhardt aber von Botticelli nicht sonderlich beeindruckt: Er strebte nach einem Schönheitsideal und blieb bei einem stets wiederkehrenden, von weitem kenntlichen Kopftypus stehen, den er hie und da äusserst liebenswürdig, oft aber ganz roh und leblos reproduziert.

Ist es, weil er immer die Schönheitskönigin Simonetta Vespucci porträtiert? Eine verbreitete Ansicht, die aber von den meisten Kunstkritikern verneint wird. Wir wissen nicht sicher, ob ein Bild der bella Simonetta existiert, die 1476 als 22-jährige stirbt. Hingegen ist gewiss, dass Giuliano de’ Medici, Bruder von Lorenzo il magnifico, am 19. Januar 1475 ein Turnier zu Ehren eben dieser Simonetta veranstaltet hat. Drei Jahre später, an Ostern 1478, wird Giuliano während einem Gottesdient ermordet.

Damit sind wir bei der Frage angekommen, wer die Medici sind und welche Rolle sie zur Zeit der Renaissance in der Republik Florenz spielen. Wir versuchen hier eine stark vereinfachte Darstellung mit Bezug zu den prachtvollen Grabmälern der Dynastie in den beiden Sakristeien der Kirche San Lorenzo (Sagrestia vecchia von Filippo Brunelleschi, Sagrestia nuova von Michelangelo Buonarroti).

Der Urgrossvater von Lorenzo und Giuliano ist Giovanni di Bicci de’ Medici, Sohn des Bicci aus dem Mugello-Tal, Prior der Geldwechslerzunft in den Jahren 1402, 1408 und 1411, reicher Bankier und Erbauer der Familienresidenz, des Palazzo Medici-Riccardi, des Ospedale degli Innocenti und der Sagrestia vecchia der Kirche San Lorenzo. Er stirbt 1428 und wird in der Sagrestia vecchia begraben. Architekt dieses Bauwerks der Frührenaissance ist Filippo Brunelleschi.

Giovanni di Bicci hat einen Sohn namens Cosimo di Giovanni de’ Medici, geboren wird er 1389, er ist bekannt als Cosimo il Vecchio. Er muss wegen Intrigen der Familie Albizzi 1432 ins Exil, die Florentiner haben aber bald genug von der Gewaltherrschaft der Albizzi und laden Cosimo ein, wieder zurückzukommen. Er übernimmt in der Florentiner Politik eine Rolle als besonnener Schiedsrichter und schafft es, das 1431 in Basel begonnene Konzil über die Wiedervereinigung mit der Ostkirche von Ferrara nach Florenz zu verlegen für die Jahre 1439 bis 1443. Weiter lässt er das Kloster San Marco erbauen, zwei Zellen sind dort für seine persönlichen Aufenthalt reserviert, Architekt ist Michelozzo (Michelozzo di Bartolomeo Michelozzi). Bekannte Künstler im Florenz von Cosimo sind Luca della Robbia, Fra Angelico, Paolo Uccello, Domenico Veneziano, eine Art höfisches Leben mit Künstler und Gelehrten findet bei ihm statt, weitere Namen im Umfeld sind Donatello, Brunelleschi, Pico della Mirandola und andere.

Cosimo stirbt 1464 und wird in der Krypta von San Lorenzo als angesehener Mann begraben, als pater patriae.

Cosimos 1416 geborener, gichtkranker Sohn Piero di Cosimo de’Medici genannt il Gottoso hat fünf Kinder mit seiner Frau Lucrezia Tornabuoni aus einer adeligen Florentiner Familie, darunter die beiden erwähnten Lorenzo und Giuliano. Von einer geplanten Verschwörung der Familie Pitti gegen ihn erfährt er hingegen, und die Verschwörer werden ihrerseits überrascht durch eine Übermacht unter Führung des Sohnes Lorenzo. Die Bauarbeiten am Palazzo Pitti ruhen von 1440 an, fortgesetzt werden sie erst 1549, vom grossherzoglichen Teil der Medici-Dynastie.

Da sein Vater Piero 1469 stirbt, übernimmt der 1449 geborene Lorenzo als Zwanzigjähriger die Leitung der Familie. Mama Tornabuoni reist nach Rom auf Brautschau, damit kein Neid entsteht unter den einflussreichen Florentiner Familien, und kommt zurück mit Clarice Orsini, mit der Lorenzo zehn Kinder zeugt, von denen fünf erwachsen werden. Lorenzo ist kein Bankier, sondern gibt das Geld aus, gleichzeitig ist er ein vielseitig interessierter Mensch. So feiert er jedes Jahr den Geburtstag von Platon mit einem Festmahl, sammelt Handschriften und dichtet. Bekannt ist der Beginn des Trionfo di Bacco e Arianna: Quant’è bella giovinezza / che si fugge tuttavia! /chi vuol esser lieto, sia / di doman non c’è certezza.

Für Ungewissheit sorgt Papst Sixtus IV, Francesco della Rovere. Er verschwört sich mit der Familie Pazzi, denn er will seinen Kirchenstaat vergrössern, und Florenz stört seine Pläne. Während der Ostermesse 1478 schlagen die Verschwörer zu und ermorden Lorenzos Bruder Giuliano. Lorenzo hingegen ist nur leicht verletzt und entkommt. Erzbischof Salviati, der im Palazzo vecchio auf den glücklichen Ausgang der Verschwörung wartet, wird gelyncht, Lorenzo dafür verantwortlich gemacht und exkommuniziert, der Papst plant mit König Ferdinand von Neapel einen Krieg gegen Florenz. Lorenzo geht darauf nach Neapel und kann als fähiger Politiker Ferdinand überzeugen, dass eine Vergrösserung des Kirchenstaats nicht in dessen Interesse ist.

Lorenzo, bald bekannt als il Magnifico, lädt auch den tüchtigen und papstkritischen Mönch Girolamo Savonarola ein als Abt von San Marco. 1492 stirbt er, bestattet ist er in der Sagrestia nuova, aber nicht unter einem der bekannten Grabmäler. Savonarolas Kritik an der Korruption der Kirche und seine Moral, die sich in einer Verbrennung von sündhaften und luxuriösen Objekten (falò delle vanità) im Februar 1497 äussert, passt aber weder dem Papst noch den Florentinern, und so verwundert es nicht, dass der streitbare Mönch, in gewisser Hinsicht ein Vorläufer der Reformation, im Jahr 1498 zum Tod verurteilt und seinerseits verbrannt wird.

Weniger Erfolg als sein Vater hat Lorenzos Sohn Piero genannt il Fatuo oder Lo Sfortunato. Er muss französischen Truppen den Durchmarsch durch Florenz gestatten. Die Florentiner schätzen dies nicht, zwei Vettern intrigieren, Piero muss die Stadt verlassen, er stirbt 1503, als sein Schiff sinkt, auf dem er Kanonen zur Wiedereroberung seiner Heimatstadt transportiert.

Dafür kehrt sein Bruder Giuliano de Lorenzo de Medici 1513 im Schutz eines päpstlichen und spanischen Heeres als Regent nach Florenz zurück.

Es ist wohl Giulianos Bruder Giovanni, der 1513 als Leo X Papst wird, zu verdanken, dass die Interessen des Kirchenstaats und der Medici-Familie wieder übereinstimmen, und dass Giuliano 1513 nicht nur Signore di Firenze wird, sondern 1515 auch noch oberster Armeechef des Kirchenstaats, capitano generale della Chiesa.

Als Guiliano in Frankreich weilt, um eine französische Adelige zu heiraten, wird er zum Herzog von Nemours ernannt, stirbt aber schon 1516, 37-jährig. Begraben ist er in der von Michelangelo Buonarroti erbauten und mit Grabmälern ausgestatteten Sagrestia nuova. Giuliano ist auf dem Grabmal sitzend zu sehen mit den Figuren des Tages und der Nacht zu seinen Füssen.

Papst Leo X sorgt nach dem frühen Tod von Giuliano dafür, dass Lorenzo, bekannt als Duca d’Urbino, der Sohn seines unglücklichen Bruders Piero, in Florenz an die Macht kommt und nach einem verlustreichen Kriegszug des Papstes auch gleich noch Herzog von Urbino wird. Allerdings hat auch Lorenzo nur ein kurzes Leben (1492-1519). Die Heirat mit einer französischen Adeligen reicht gerade zur Zeugung seiner Tochter Catarina, die drei Wochen vor seinem Tod geboren wird, später den französischen Dauphin heiratet und Königin von Frankreich wird. Während den Massakern der Bartholomäusnacht spielt Catherine de Médicis eine üble Rolle, nach dem Tod ihres Gatten regiert sie Frankreich.

Das Grabmal von Lorenzo Duca di Urbino befindet sich in der Sagrestia nuova, die sitzende Statue von Lorenzo, geschaffen von Michelangelo, blickt nachdenklich, ihr zu Füssen die bekannten Statuen Aurora und Crepuscolo, Morgen- und Abenddämmerung, vielleicht symbolisch für den Aufstieg und Niedergang der Medici-Dynastie.

Medici-Papst Leo X verurteilt im Juni 1520 in seiner Bulle Exsurge domine 41 Schriften von Martin Luther und exkommuniziert den Reformator im Januar 1521, bevor er noch im selben Jahr stirbt. Nach seinem Tod wird ein Holländer Papst, wohl eine Verlegenheitslösung, nach 20 Monate stirbt er, möglicherweise an Gift.

Der nächste Papst ist dann wieder ein Medici, und zwar der 1478 geborene Giulio (1478-1534), Sohn des an Ostern 1478 ermordeten, noch unverheirateten Giuliano. Als Papst nimmt er den Namen Clemens VII an. Unter ihm erlebt Rom die Katastrophe der Plünderung durch einen undisziplinierten Haufen kaiserlicher Landsknechte und das darauffolgende Chaos (sacco di Roma, 1527), das mit einer Pestepidemie endet. Der Kirchenstaat und Clemens VII überleben diese Krise aber, und der päpstlichen Finanzierung ist zu verdanken, dass Michelangelo nach einem Unterbruch an der Sagrestia nuova weiterarbeitet bis 1534, als er Florenz verlässt, ohne seine Arbeit ganz zu vollenden.

Auch wenn die Medici de facto regierten, so blieb Florenz während der ganzen Frührenaissance formal eine Republik mit ihren republikanischen Institutionen. Dies ändert sich, als Florenz 1531 nach einer zehnmonatigen Belagerung der Stadt von einer päpstlichen und spanischen Armee eingenommen wird und Alessandro de’ Medici als Regierungschef eingesetzt wird, der die Republik 1532 abschafft.

Alessandro (1510-1534), offiziell der uneheliche Sohn des früh verstorbenen Lorenzo Duca di Urbino und wegen seiner getönten Hautfarbe il Moro genannt, ist wohl in Wirklichkeit ein Sohn von Papst Clemens VII, der sich auch um seine Erziehung und Ausbildung gekümmert hat. Als sicherheitsbewusster Staatsmann sammelt er in Florenz alle Waffen ein und lässt sich von einer Leibgarde umgeben. Ermordet wird er schliesslich von einem Cousin, der ihn zu einem diskreten Rendezvous mit einer begehrten Frau einlädt, den Toten über Nacht liegen lässt und sich nach Venedig absetzt, wo er sich als Tyrannenmörder feiern lässt. Begraben ist Alessandro im gleichen Grab wie sein angeblicher oder wirklicher Vater Lorenzo Duca di Urbino, allerdings weist keine Inschrift auf ihn hin.

Michelangelo hat als Ingenieur an den Befestigungen der von Spaniern und Papst angegriffenen Republik gearbeitet, und seine Büste des Tyrannenmörders Brutus, wohl 1539/40 geschaffen, zeigt, wo seine politischen Sympathien liegen.

So wenig wie die Ermordung von Cäsar die Entwicklung Roms von der Republik zum Kaisertum verhindern konnte, so wenig konnte der Mord an Alessandro aber die Feudalisierung von Florenz rückgängig machen. Die Hauptlinie der Medici, die bisher die Geschicke der Stadt bestimmt hat, ist zwar ausgestorben, aber es gibt eine Nebenlinie, die sich auch auf Giovanni di Bicci zurückverfolgen lässt. Die Herrscher dieser Linie regieren die Stadt, deren Blütezeit vorbei ist, von nun an bis ins 18. Jahrhundert, als Grossherzöge der Toskana.

Zurück zu unserem Aufenthalt in Florenz. Am Dienstagmorgen nehmen wir uns genügend Zeit zur Besichtigung der Uffizien – Museen besuchen wir jeweils individuell, also ohne Führung, damit wir alle die Ausstellung in individuellem Tempo und nach persönlichen Vorlieben betrachten können. Auch die Galerie der Uffizien ist chronologisch aufgebaut, so dass man sowohl die stilistische Entwicklung verfolgen kann, sondern auch die thematische Erweiterung zu nichtreligiösen Bildsujets.

Manchmal zeigt ein Blick von der Galerie nach draussen, dass nach einer regnerischen Nacht wieder die Sonne durchbricht.

Bevor wir den Nachmittag des Dienstags im ehemaligen Klosterkomplex Santa Maria Novella verbringen, macht uns die Italienischlehrerin Annemarie, die zu unserer Reisegruppe gehört, mit dem Decameron von Bocaccio bekannt. Sieben junge Frauen aus guten Familien und drei junge Männer treffen sich in der Kirche Santa Maria Novella und beschliessen, die Stadt, in der erschreckend viele Menschen an der Pest streben, zu verlassen (ihr Ziel: Distanz halten, das kommt uns bekannt vor). Auf dem Land erzählen sich die zehn Menschen während zehn Tagen zehn Geschichten. Annemarie hat einige dieser sehr unterschiedlichen Geschichten ausgedruckt. Die Geschichten sind teilweise so pikant, dass es verständlich ist, dass der gleichnamige Film von Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1971 erst ab 18 Jahren freigegeben wurde.

Vor der Kirche Santa Maria Novella bewundern wir zuerst mal die grossartige Fassade (1456-1470), im Innern dann das Kruzifix von Giotto (vermutlich 1288/89), die Dreifaltigkeit mit Kreuzigung innerhalb einer perspektivisch korrekt dargestellten Renaissance-Architektur von Masaccio (zwischen 1425 und 1428), die Fresken von Domenico Ghirlandaio in der Tornabuoni-Kapelle (1485-1490) und die sogenannte Spanische Kapelle mit Fresken um 1365.

Den Mittwoch beginnen wir mit einem Besuch des Klosterkomplexes von San Marco, dessen Besuch sich vor allem wegen den Frührenaissance-Fresken von Fra Angelico (zwischen 1439 und 1445) lohnt. Anschliessend besichtigen wir das alte Machtzentrum der Stadt, den Palazzo vecchio. Die manieristischen Malereien der oft überladen wirkenden Räume stammen überwiegend aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, aus der Zeit von Grossherzog Cosimo I, das fensterlose, geheime Studiolo von seinem Sohn und Nachfolger Grossherzog Francesco I wurde es unter der Aufsicht von Giorgio Vasari gebaut.

Nach dem Mittagessen treffen wir uns wieder als Gruppe und besuchen schliesslich die erwähnte Sagrestia nuova.

Dann haben wir genügend Innenräume gesehen, spazieren durch die Stadt, überqueren den Fluss Arno auf dem Ponte vecchio und steigen hoch zur Piazzale Michelangelo, um den nachmittäglichen Ausblick über die Stadt zu geniessen. So nehmen wir Abschied von der Stadt.

Am nächsten Vormittag fahren wir mit einem Hochgeschwindigkeitszug unter dem Apennin durch und weiter über die Flüsse Po und die Etsch (Adige) nach Padua (Padova). In Padua gibt’s kein geeignetes Hotel in Bahnhofsnähe, dafür städtische Busse, die ins Zentrum fahren. Nicht weit vom Opernhaus und Theater (Teatro Verdi) liegt das Hotel Verdi, in dem wir übernachten. Von dort sind es wenige Schritte zum Palazzo del Capitanio mit seinem Uhrturm, zu den beiden Hauptplätzen Piazza delle Erbe und Piazza della Frutta und zu dem Palazzo della Ragione, einem zwischen 1176 und 1219 erbauten Gebäude von monumentalen Ausmassen, das als Markthalle und Ratsgebäude diente.

In Padua wollen wir vor allem die von Giotto zwischen 1304 und 1306 ausgemalte Cappella degli Scrovegni besichtigen. Der Freskenzyklus mit 38 Bildern, die praktisch die gesamte Wandfläche der Kapelle bedecken, gehört zwar nicht zur Renaissance, aber Giotto wurde doch während der Renaissance als Maler mit himmlischer Begabung, (Vasari: con celeste dono) verehrt. Es werden jeweils nur fünfundzwanzig Besucherinnen und Besucher für einen fünfzehnminütigen Besuch eingelassen. Vor dem Betreten der Kapelle betrachten diese einen gut gemachten Einführungsfilm. Wer mehr Zeit für die Kapelle braucht, muss ein zweites Mal nach Padua kommen. Wir nehmen uns auch Zeit für die Musei Civici, in denen man beachtliche antike Funde sieht.

Beim Promenieren in der Stadt bemerken wir unterwegs auf der Rückseite des Rathauses als Erinnerung an die Zeit des Faschismus eine Karte des italienischen Imperiums von 1939 mit Somalia, Äthiopien, Eritrea, Libyen, den damals italienischen Inseln in der Ägäis (Dodekanes), Albanien und Istrien. Soll man Denkmäler und Inschriften des Kolonialismus und des Faschismus zerstören? Dies ist nicht meine Meinung. Aber eine Hinweistafel mit Erklärungen möchte ich an einem solchen Ort gerne sehen.

Einen Ort will ich der Gruppe in Padua noch zeigen: die Kirche des heiligen Antonius von Padua, bekannt als il Santo. Es ist nicht allein der Reichtum der Dekoration am Grab und um das Grab des Heiligen, die diese Kirche zum Erlebnis macht, sondern auch die Verehrung, die er bis heute geniesst. Die Gläubigen berühren seinen Sarkophag und staunen über die Zunge des Predigers, die sich nicht zersetzt haben soll. Man kann wohl Kunst zu religiösen Themen nicht ganz verstehen, wenn man die dazu gehörende Religiosität ausblendet. Aus den meisten Kirchen ist die Religiosität auch in Italien entschwunden, aber hier existiert sie.

Der Tag endet mit einem guten Abendessen in der Osteria l’Anfora mit regionaler Küche.

Die ultimative Rosine unserer Reise ist Venedig, auch wenn die Renaissance hier eher spät begonnen hat. Wir erreichen die Stadt am Freitag nach einer halbstündigen Bahnfahrt und stellen unser Gepäck im Hotel Bellini wenige Schritte vom Bahnhof ab. Wir machen uns auf zur Entdeckung der Stadt.

Wer zum ersten Mal in der Stadt ist oder lange nicht mehr da war, steht oft fasziniert still und wundert sich über die vielen malerischen Plätze samt ihren verschlossenen Ziehbrunnen und über die Kanäle mit den halb überschwemmten Hauseingängen zum Wasser. Wie funktioniert die Logistik in einer Stadt ohne Strassen? Es gibt Supermärkte mit Lebensmitteln und Ambulanzboote mit Blaulicht und Sirene. Zuerst gehen wir zu Fuss zu einem Ort, der für die Kultur der Renaissance bedeutend ist.

Am Campo Sant’Agostin im Stadtteil San Polo befand sich die Druckerei von Aldus Manutius, bei dem Erasmus von Rotterdam sich um 1508 zehn Monate lang aufhält, um seine Sammlung lateinischer Sprichwörter und Redensarten (Adagia) drucken zu lassen. Das Haus des Druckers steht noch. Auch später in Basel lebt der führende Intellektuelle Europas jahrelang bei einem Drucker.

Der Druck von Büchern erleichtert die Verbreitung von neuen Ideen, und in der Republik Venedig gibt es während der Renaissance weniger Hindernisse für Drucker als anderswo. Aldo Manuzio, wie er auf Italienisch genannt wird, gilt als Erfinder der kursiven Drucktypen (Italic).

Die Druckerei liegt auf unserem Weg zwischen dem Bahnhof und dem Fischmarkt, wo Möwen miteinander um Nahrung kämpfen, nicht weit von der Rialtobrücke. Von dort gehen wir zu einer der schönsten Renaissance-Kirchen der Stadt, Santa Maria dei Miracoli (1481-89).

Nach einem Mittagessen gehen wir über die Strada Nuova und ihre Fortsetzung zurück zum Hotel, beziehen unsere Zimmer, steigen in ein mit Touristen und sperrigen Rollkoffern überfülltes Motorschiff (vaporetto) der Linie 1 (Venice’s most popular waterbus line), staunen, dass die Fahrt auf dem Canal Grande vom Bahnhof Santa Lucia bis zum Markusplatz länger dauert als die Fahrt von Padua nach Venedig und betreten schliesslich gegen Ende des Nachmittags das ehemalige Machtzentrum der Republik, den Dogenpalast (Palazzo ducale), für den wir im Vorverkauf Eintrittskarten gekauft haben.

Während im Palazzo vecchio in Florenz der Salone dei Cinquecento 54 x 23 Meter misst, hat im Dogenpalast der grösste Ratssaal Sala del Maggior Consiglio Ausmasse von 55 x 25 Metern. Dazu passt ein Gemälde, das lange als grösstes der Welt galt, das 7 x 22 Meter grosse, um etwa 1590 entstandene, manieristische Bild il Paradiso von Jacopo Tintorretto (1518-1594).

Wie der Palazzo vecchio wurde auch der Dogenpalast durch Brände beschädigt, wie dieser stammt auch der Dogenpalast in seiner heutigen Form aus sehr unterschiedlichen Zeiten. In beiden Gebäuden fühle ich mich von der Monumentalität der Architektur und der barocken Überladenheit der Dekoration eingeschüchtert, und das ist wohl so gewollt. Schliesslich waren beide Gebäude Zentren der Macht. Wer selbst mächtig war, hatte gewiss uneingeschränkt Zutritt, aber ich stelle mir einheimische Bittsteller und ausländische Delegationen vor, die lange in Vorzimmern warten, bis sie eingeladen werden und den Mächtigen der Republik in den Räumen des Palasts ihre Anliegen vorbringen dürfen. Im Palast befanden sich auch die Gerichte, und auf der anderen Seite die Gefängnisse der Republik, die man auf dem Rundgang ebenfalls besichtigt.

Nicht weit vom Markusplatz ist die Riva die Schiavoni, einst Anlegeplatz für Schiffe aus dem slawischen Raum. In einer Seitengasse dieser Promenade befindet sich das Restaurant Lo Scalinetto, in dem wir den letzten Abend unserer Reise bei einem guten Abendessen verbringen. Den Tisch haben wir frühzeitig reserviert. Das Restaurant bietet eine schmackhafte venezianische Küche, und das Personal beherrscht die scheinbar so leichte Kunst, die Kundschaft locker, fröhlich und professionell zu bedienen.

Eigentlich endet unsere Reise am Samstagmorgen nach dem Frühstück. Aber die meisten Mitreisenden haben noch eine zusätzliche Nacht gebucht und verlassen Venedig erst am Sonntagnachmittag oder sogar erst am Montag. So bleibt Zeit für Spaziergänge bei schönem, aber windigem Wetter und hohem Wasserstand (acqua alta), der zu einer teilweisen Überflutung des Markusplatzes führt.

Von allen Städten, die wir auf dieser Reise besucht haben, ist Venedig die einzige, die keine römische Vergangenheit hat. Umso wichtiger war es für die Venezianer, ein imaginäres Gründungsdatum zu erfinden, und dank diesem historisch unhaltbaren Gründungsdatum feiert die Stadt im Jahr 2021 ihr 1600-jähriges Bestehen.

Einen Teil der wirklichen Stadtgeschichte erfährt man im Museo Correr, das wir am Samstagmorgen besuchen. Dort geht es um venezianische Kartographie und Seefahrt sowie um die Kriege, die die Stadt zur Verteidigung des Christentums und ihrer Handelsinteressen gegen die bösen Türken geführt hat. Die Sammlung ist heterogen, mir ist eine gut erhaltene Skulptur des Mithras aufgefallen, ein Modell des Bucintoro, des prunkvollen Staatsschiffes des Dogen, erbeutete türkische Feldzeichen, venezianische Münzen, Keramiken, Gemälde, Plastiken von Canova und vieles mehr, alles untergebracht in dem Gebäude, das Jacopo Sansovino (1486-1570) als Umrahmung des Markusplatzes gebaut hat, in dem auch die Biblioteca Sansoviana untergebracht war.

Wenn ich die lateinische Inschrift richtig verstehe, so wurde diese im Jahre des Herrn 1929 beziehungsweise im Jahr 7 der Faschistischen Revolution in ihrem ursprünglichen Zustand wiederhergestellt, als Viktor Emmanuel III König von Italien und Benito Mussolini Duce war (das lateinische Wort Dux, das auf dem Bild in deklinierter Form verwendet wird, bedeutet Führer, Herzog, in Venedig auch Doge).

Wer die Renaissance liebt, wird in Venedig auch Gefallen finden an der Fassade der Scuola Grande di San Marco (1487-1495) und an der 1490 beendeten Kirche San Zaccaria mit ihrer harmonischen Fassade und dem Meisterwerk Conversazione sacra (1505) des Venezianers Giovanni Bellini (1430-1516). Burckhardt erwähnt das Bild in seinem Cicerone als Beispiel dafür, wie der Rahmen die perspektivisch berechnete Fortsetzung der im Bilde darstellten Architektur ist… Das Beisammensein der heil[igen] Gestalten, ohne Affekt, ja ohne bestimmte Andacht, macht doch einen übermenschlichen Eindruck durch den Zusammenklang der glückseligen Existenz so vieler freier und schöner Charaktere.

Und natürlich gehört zu einem Besuch von Venedig die Gemäldesammlung der Gallerie dell’Accademia, die wir am Sonntagmorgen besuchen, in der die Renaissancebilder der venezianischen Maler nicht fehlen.

Zum Abschluss einige Hinweise für Reisende, die ihre eigene Reise zu den Werken der Renaissance planen:

Die Hotels in den besuchten Städten sind etwas günstiger als in der Schweiz, in Venedig etwa auf gleichem Niveau, aber je nach Jahreszeit sehr früh ausgebucht. Das Essen in Restaurants ist in der Regel gut und günstig. Es lohnt sich, auf regionale Küche zu achten. Erstens unterstützt man so die Produzenten in der Umgebung, und zweitens lernt man so auch neue Gerichte kennen. Wenn auf der Karte nicht alles verständlich ist, soll man ungeniert fragen. Die meisten Kellnerinnen und Kellner geben sehr gerne Auskunft.

Das Frühstück in den Hotels ist oft etwas enttäuschend. Die meisten Italienerinnen und Italiener trinken am Morgen einen cappuccino an der Stehbar auf dem Weg zur Arbeit und essen dabei ein cornetto, oft auch brioche genannt, auch wenn ein cornetto gemeint ist. (Wer die Gipfeli gerne ohne Marmeladefüllung geniessen möchte, verlangt ein cornetto vuoto). Diese Variante kostet auch im überteuerten Venedig nur 3.10 EUR – günstig im Vergleich zum Frühstück im Hotel für 15 EUR. Das Finanzielle ist aber nur ein Aspekt. Der Kaffee in einer gut besuchten Bar in Italien ist einfach immer unvergleichlich gut. Und man kriegt erst noch mit, wie die Italienerinnen und Italiener sind, wenn sie sich selbst sein können.

Zu den Bahnen. Sie sind komfortabel und im Vergleich zur Schweiz nicht teuer. Wer Zeit hat und mehr als die Hälfte des Fahrpreises einsparen will, sollte sich das Umsteigen auf die Kategorie der schnellen Regionalzüge überlegen. Für die Rückfahrt in die Schweiz empfiehlt es sich, mögliche Zugsverspätungen einzuplanen.

Eher teuer sind die meisten Eintritte zu Sehenswürdigkeiten, vor allem in Florenz und Venedig. Zur Information die Eintrittspreise, die im Oktober 2021 zu bezahlen sind:
– Dogenpalast (Palazzo ducale) in Venedig 26 EUR (14 EUR für Kinder, Studenten, Pensionierte)
– Uffizien Florenz 20 EUR
– Domkuppel Florenz 20 EUR
Museo dell’Opera del Duomo und Baptisterium Florenz 15 EUR
Cappella degli Scrovegni Padua 14 EUR (kombiniert mit Museum, am Montag ohne Museum 10 EUR)
Palazzo vecchio Florenz 12.50 EUR
Gallerie dell’Accademia Venedig 12 EUR
Galleria nazionale Parma 12 EUR
Sagrestia nuova Florenz 9 EUR
Museo di San Marco Florenz 8 EUR
Pinacoteca nazionale Bologna 6 EUR
– die Statuen in der Kirche Santa Maria della Vita, Bologna 5 EUR
– Fresken von Giovanni da Modena in der Kirche San Petronio, Bologna 3 EUR
Santa Maria dei Miracoli in Venedig 3 EUR.

Schliesslich sollte man einen Euro bereithalten für die Beleuchtung des Bildes Sacra conversazione von Giovanni Bellini in der Kirche San Zaccaria in Venedig. Und Zeit, genügend Zeit sollte man sich lassen!